Aus den skeptischen Kroaten könnten schon bald überzeugte EU-Gegner werden. Kroatiens Exportvolumen ist seit dem EU-Beitritt eingebrochen. Wird aus dem jüngsten EU-Mitglied der nächste Bailout-Kandidat?
Kroatiens Beitritt zur Europäischen Union liegt ziemlich genau ein Jahr zurück. Alles ging sehr zurückhaltend und schlicht über die Bühne. Die kroatischen EU-Skeptiker waren viel deutlicher zu hören, als irgendwelche Jubelredner. Die gemischten Gefühle überwiegen bis heute. Zwei Drittel der Kroaten befürchten, dass sie künftig von Brüssel regiert werden.Bei einem Referendum Anfang 2012 lag die Zahl der Befürworter noch bei 68 Prozent. Allerdings: Von den 4,5 Millionen Stimmberechtigten nahmen nur 43,6 Prozent an der Abstimmung teil. Bei der Europawahl im April 2013 sank die Wahlbeteiligung gar auf 20,8 Prozent.
Seit dem EU-Beitritt (1. Juli 2013) ist Kroatien mit je einem Mitglied im Europäischen Rat, in der Europäischen Kommission, im Gerichtshof der Europäischen Union, im Gericht der Europäischen Union und im Europäischen Rechnungshof vertreten. Im Wirtschafts- und Sozialausschuss haben die Kroaten je 9 Sitze, ins Europäische Parlament entsenden sie 12 Abgeordnete. Kroatisch ist zudem die 23. Amtssprache der Europäischen Union. Trotzdem werden die Kroaten in absehbarer Zeit mit Sicherheit keine euphorischen Europabefürworter werden.
Wenn ein Land, das selbst tief in der Krise steckt, einer Krisengemeinschaft beitritt, welche Vorteile können sich für die Gemeinschaft bzw. für das neue Mitglied ergeben? Langfristig gesehen, das haben auch schon die Beitrittsverhandlungen gezeigt, wird der Reformdruck höher. Unternehmen, die nicht umdenken und umstrukturieren, werden am europäischen Markt nicht bestehen können. Der verstärkte Wettbewerb wird zu zahlreichen Betriebsschließungen in Kroatien führen.
Gleichzeitig erwarteten die Experten eine Entlastung des Arbeitsmarktes, denn zumindest die skandinavischen Mitglieder öffneten ihre Arbeitsmärkte sofort für die Kroaten. Ansonsten gelten noch die ausgehandelten Übergangslösungen: Mitgliedstaaten dürfen die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Arbeitnehmer aus Kroatien einschränken, also nach nationalen Vorgaben regulieren. Eine Bestimmung, die bis zu zweimal auf maximal sieben Jahre verlängert werden kann, demnach maximal bis 2020 gültig sein wird. Österreich und Deutschland haben bis 2020 zudem die Möglichkeit, Ein- und Beschränkungen für gewisse sensible Dienstleistungssektoren anzuwenden.
Die Vorteile des EU-Beitritts, so ließen sich die meisten Prognosen zusammenfassen, werden sich nur sehr langsam positiv auf die kroatische Volkswirtschaft auswirken. Unter dem Strich wurde für die zweite Hälfte des Jahres 2013, also für die ersten sechs Monate der EU-Mitgliedschaft, mit Mehreinnahmen in der Höhe von 162,3 Mio. Euro gerechnet. Dieser Betrag ergibt sich aus Rückflüssen aus dem EU-Haushalt in Höhe von 374 Mio. Euro, denen Beitragszahlungen Kroatiens in den EU-Haushalt in Höhe von 211,7 Mio. Euro gegenüberstehen. Kroatien zählt somit zu Nettoempfängerländern der Europäischen Union.
Herausgekommen ist, dass sich Kroatien bereits nach einem halben Jahr für sein anhaltendes Haushaltsdefizit verantworten musste. Die EU-Finanzminister beschlossen im Jänner 2014 die Eröffnung eines Verfahrens gegen den Adriastaat, der seit 2009 unter einer Rezession (2013: minus 1 Prozent) und hohen Arbeitslosenzahlen (Mai 2014: 16,3 Prozent) leidet. Kroatien liegt mit einem Budgetdefizit von mehr als fünf Prozent der Wirtschaftsleistung seit Jahren deutlich über der EU-Toleranzgrenze von drei Prozent. Auch die Staatsverschuldung ist mit 65 Prozent (des Bruttoinlandsproduktes) deutlich höher als die erlaubten 60 Prozent. Die Forderungen der EU-Kommission ließen nicht sehr lange auf sich warten: 2014 muss die Neuverschuldung auf 4,6 Prozent eingebremst werden und bis 2016 auf 2,7 Prozent. Hinzu kommt, was die meisten Kroaten befürchtet haben: Die Union überwacht künftig den Budgethaushalt, weil das Defizit weiter zu explodieren droht. (2012: 54 Prozent; 2013: 60 Prozent; 2014: 65 Prozent des BIP).
Der EU-Beitritt hat die Wirtschaftskrise in Kroatien nur noch verschärft. Das Exportvolumen ist alleine im letzten August, ein Monat nach dem Beitritt, um 19 Prozent geschrumpft. Zwar sind die Zölle verschwunden, doch die Preise sind gleich geblieben. Mit dem EU-Beitritt hat das Land alle Vorteile verloren, die es im Rahmen seiner Zugehörigkeit zum Mitteleuropäischen Freihandelsabkommen (CEFTA) genossen hat. Neben Standard & Poor’s hat auch die Ratingagentur Moody’s die Kreditwürdigkeit Kroatiens als „spekulative Anlage“ eingestuft und somit herabgestuft, anstatt indirekt für günstigere Kredite zu sorgen. Es drängt sich die Frage auf, ob mit Kroatien ein neuer Bailout-Kandidat heranwächst oder, ob es nur eine Frage der Zeit ist, bis die wenigen optimistischen EU-Befürworter Recht bekommen?
Aus europäischer Sicht waren es eine Reihe von politischen und wirtschaftspolitischen Überlegungen, die Kroatien mit offenen Armen im EU-Haus willkommen hießen. Die meisten Argumente sind aber kaum oder noch nicht in Zahlen zu messen. Brüssel hoffte mit dem EU-Beitritt Kroatiens auf eine Stärkung der Stabilität des gesamten Balkans und auf neue Chancen für EU-Unternehmen durch einen neuen Partner. Gleichzeitig bringt die EU-Erweiterung eine Ausdehnung der EU-Normen in den Bereichen Energie, Verkehr und Umweltschutz mit sich. Zudem: Durch die Aufnahme Kroatiens wird die kulturelle Vielfalt erhöht, die Mobilität erleichtert und das Austauschprogramm für Studenten und Forscher erweitert. Österreich ist heute für kroatische ERASMUS-StudentInnen das beliebteste Zielland.
Rund 750 österreichische Firmen verfügen über Niederlassungen in Kroatien in fast allen Sektoren. Kroatien befindet sich unter Österreichs Top 25-Exportmärkten, bis Mitte 2013 betrug Österreichs Marktanteil in Kroatien rund 5 Prozent. Zwischen 1993 und Mitte 2012 hat die österreichische Wirtschaft 6,54 Mrd. Euro im Adriastaat investiert – das sind 25,3 aller Auslandsinvestitionen. Doch auch die österreichische Wirtschaft spürt den EU-Beitritt Kroatiens. Vorläufige Zahlen für Jänner bis September 2013 zeigen einen Rückgang der österreichischen Ausfuhren um 7,6 Prozent auf 782,9 Mio. € gegenüber dem Vergleichszeitraum 2012.
Trotzdem bleibt das österreichische Außenministerium optimistisch und verlautbart noch im März 2014 auf seiner Webseite: „Durch die Öffnung der Grenzen für den Warenverkehr seit dem EU-Beitritt Kroatiens (1.7.2013) wird der bilaterale Außenhandel sicherlich noch mehr an Bedeutung gewinnen.“ In Kroatien sucht die Regierung ratlos nach Erklärungen, warum der Traum von einem Wirtschaftswunder so schnell von der Realität eingeholt wurde.