Businessman looking at various staircases --- Image by © Colin Anderson/Blend Images/Corbis

Zwischen Aufschwung und Abschwung

Die US-Wirtschaft wächst wieder. Europa schwächelt immer noch. Wie berechtigt ist die Angst vor einer gegenteiligen Geldpolitik von FED und EZP?

Erstmals wurde die Schallmauer von 1000 Milliarden durchbrochen. Die 500 größten Unternehmen in den USA haben zusammengerechnet noch nie so hohe Gewinne verbucht. Das war allerdings bereits vor 12 Monaten. Aus amerikanischer Sicht ist die Krise vorbei. Schon damals liebäugelte US-Notenbankchef Ben Bernanke, die ultralockere Zinspolitik etwas zu verschärfen. Eine Idee, die seine Nachfolgerin Janet Yellen längst aufgenommen hat und in absehbarer Zeit auch umsetzen wird. Die USA steuern einer Zinserhöhung entgegen.

Das billige Geld hat die amerikanische Wirtschaft wieder in Schwung gebracht: Das US-Wirtschaftswachstum hat im zweiten Quartal 2014 mit rund 2,5 Prozent ein deutlich höheres Niveau als in Europa erreicht. Für 2015 hoffen amerikanische Wirtschaftsexperten sogar auf ein Wachstum jenseits der 3 Prozent, obwohl die FED ihren Wachstumsausblick für das nächste Jahr von 3,1 Prozent auf 2,8 Prozent gesenkt hat.

Die jüngsten Zahlen zum US-Arbeitsmarkt zeigen im letzten Quartal einen Zuwachs von 248.000 Arbeitsplätzen. Damit sinkt die Arbeitslosenquote auf 5,9 Prozent, auf den tiefsten Stand seit Juli 2008. Somit werden konjunkturfördernde Maßnahmen (bei einer Arbeitslosenquote unter 6 Prozent) eingestellt. Eine quantitative Lockerung möchte die FED bereits in wenigen Wochen bekannt geben: Zunächst soll der Erwerb von langfristigen Staatsanleihen und Immobilienpapieren noch einmal um zehn Milliarden Dollar (7,7 Mrd. Euro) pro Monat auf 15 Milliarden Dollar reduziert werden, in weiterer Folge gänzlich eingestellt werden.

Mittlerweile steigen selbst am amerikanischen Immobilienmarkt die Preise wieder langsam an, in einigen Städten haben sie bereits Vorkrisenniveau erreicht. Allerdings: Um riskante Spekulationen einzubremsen, werden nun dementsprechende Anzahlungen für neue Immobilienkredite verlangt.

Ermöglicht wurde der jüngste Aufschwung in den USA durch die niedrigen Energiekosten. Die Gaspreise sind um zwei Drittel niedriger als in Europa, bei Industriestrom ist der Unterschied sogar noch größer. Fracking stößt in den USA auf keinen Widerstand, billiges Gas kann über das amerikanische Pipelinesystem quer durch das ganze Land geliefert und verkauft werden. Die Ölfördermenge steigt jährlich um rund 15 Prozent und ist bereits um 40 Prozent höher als noch im Vorkrisenjahr 2008.

Ins Ausland verlegte Produktionsstätten werden geschlossen bzw. auf amerikanischem Boden wieder eröffnet. So entstanden unzählige neue Arbeitsplätze – das Energieniedrigpreisland USA macht es möglich. Das Re-shoring, also die Rückholung und Ansiedlung von Industriebetrieben, hat vor allem in energieintensiven Branchen wie Chemie, Plastik und Stahl bzw. in Sektoren mit geringem Lohnkostenanteil ganz gut funktioniert. Ob es sich hierbei um eine echte Reindustrialisierung oder um einen zyklischen Aufschwung nach der großen Krise handelt, werden die nächsten Monate zeigen.

Berechtigt ist die Frage, ob der jüngste Aufschwung amerikanischer Unternehmen nicht auch auf das stagnierende Lohnniveau zurückzuführen ist? Die Schere zwischen Produktivität und Vergütung ist ein bekanntes und gerne totgeschwiegenes Phänomen, sobald das Unternehmertum riesige Cash-Reserven horten kann. Seit 1980 ist die Produktivität amerikanischer Unternehmen um rund 80 Prozent gestiegen, der Durchschnittsarbeiter erhält aber lediglich sieben Prozent mehr Lohn als noch vor 34 Jahren – das mittlere Haushaltseinkommen liegt in den USA mit rund 51.000 US Dollar (40 000 Euro) unter dem Einkommensniveau von 1989. Stagnierende Gehälter in Kombination mit steigenden Krediten waren mitverantwortlich für letzte US-Immobilienkrise und ihren Dominoeffekt. Der beim Weltwirtschaftsforum in Davos präsentierte 700 Seiten starke „Global Risk Report“ bezeichnet Einkommensungleichheit sogar als die größte Gefahr, als ´sozialen Sprengstoff für die Weltwirtschaft´.

„Fight for 15“

In keiner anderen Branche in den USA klafft die Lohnschere so weit auseinander wie im Fast-Food-Geschäft. Im September riefen die Fast-Food-Mitarbeiter in 150 amerikanischen Städten zum Streik auf. Hinter der Initiative „Fight for 15“ steckt die Stundenlohnforderung von 15 Dollar (11,60 Euro) und der Ruf nach einer gewerkschaftlichen Vertretung. Bis zum heutigen Tag verdienen die einfachen Angestellten – sie zählen zu den am schlechtesten bezahlten Jobs der US-Wirtschaft – etwa neun Dollar pro Stunde (6,80 Euro).

Indirekt beschreiben solche Zahlen auch die Schwäche der Gewerkschaften, sofern es eben überhaupt eine gewerkschaftliche Vertretung gibt. Vergessen wir zudem nicht, dass der amerikanische Arbeitsmarkt sehr flexibel ist und neue Jobs in den letzten zehn Jahren vor allem im Bereich der schlecht bezahlten Dienstleistungen entstanden sind. Eine Studie der New Yorker Zentralbank verdeutlicht die zunehmende Job-Polarisierung: Neben schlechter bezahlten Jobs mit geringen Qualifikationsanforderungen legen vor allem die sehr gut bezahlten Arbeitsplätze der Elite zu.

Die Mittelschicht schrumpft, für sie bleiben immer weniger Jobs übrig. Viele unter ihnen haben in Krisenzeiten gar nicht die Qual der Wahl, weil sie ihren Schuldenberg abbauen müssen. Die hohen Ausbildungskosten wurden größtenteils über einen Kredit finanziert. Wer nach dem College keinen adäquaten Job findet, muss die Kreditraten trotzdem zurückzahlen. Und wer im Top-Management nicht unterkommt, dem bleiben oft nur die unterdurchschnittlichen Dienstleistungsjobs. Auch aus diesem Blickwinkel bleibt die Verschuldung des amerikanischen Mittelstands ein heikles und brisantes Thema.

Globale Divergenz

Europa steckt immer noch tief in der Krise und China wächst langsamer bzw. nicht mehr so stark wie noch vor einem Jahrzehnt. Der amerikanische Aktienmarkt ist zu einem Fluchthafen für internationales Geld geworden. Gleichzeitig sitzen die amerikanischen Unternehmen auf hohen Bargeldbeständen. Investieren sie großzügiger, dann wird das die Konjunktur weiter stärken. Oder sie schütten über Dividenden und Aktienrückkäufe mehr an die Aktionäre aus – auch das wird den Aktienkursen guttun.

Zurück bleibt die Frage, ob selbst eine vorsichtige Zinserhöhung den Aufwärtstrend nicht wieder abwürgt? Die Finanzierungskosten für Unternehmen und Regierung erhöhten sich automatisch. Europa wird seinen außergewöhnlich niedrigen Zinssatz zumindest noch bis Ende 2015 beibehalten und somit eine gegenteilige Geldpolitik zu den USA verfolgen. Zu befürchten ist, dass sich durch den niedrigen Zins der letzten Jahre auf dem Aktien- und/oder Immobilienmarkt große Finanzblasen gebildet haben. Sie würden sofort zerplatzen, wenn kein billiges Geld mehr vorhanden ist, die US-Zinsen also plötzlich angehoben werden. Vieles spricht dafür.

Eine globale Divergenz scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Allerdings: Steigen in den USA die Zinsen, sinkt zunächst einmal der Wert von vielen festverzinslichen Wertpapieren. Im Handumdrehen wächst wieder die Sorge um die kränkelnden Banken mitsamt ihren Bilanzen.

Nur die Ankündigung von Ben Bernanke im Mai 2013, die Notenbank könnte den Ankauf von Staatsanleihen zurückfahren, hatte so verheerende Folgen, dass der FED-Chef mehrere Monate verstreichen ließ, bis seinen Worten auch Taten folgten. Die Aussicht, dass ein Ende der Anleihekäufe höhere Zinsen am Kapitalmarkt in den USA mit sich bringen könnte, ließ viele internationale Investoren umdenken. Plötzlich erschien ihnen das Gewinn-Risiko-Kalkül in den Schwellenländern, wo es bessere Zinsen gab zu hoch. Sie zogen das Geld ab. Die logische Konsequenz: Die Währungen einzelner Schwellenländer und ganze Staaten kamen in größte Bedrängnis.

Mittlerweile sind die Investoren wieder in die Schwellenländer zurückgekehrt, aber die Geschichte kann sich zweifellos wiederholen. Die US-Notenbank hat bereits angekündigt, dass sie ihre Anleihekäufe zur Stützung der Konjunktur im kommenden Monat beenden möchte. Die riesigen Geldsummen, die ins System gepumpt wurden, sollten helfen, den Zins langfristig zu drücken. Er befindet sich weiterhin auf dem Rekordtief von 0,25 Prozent und soll auf diesem Niveau vorläufig eingefroren werden. Aber wie lange? Wirtschaftsexperten erwarten eine Erhöhung bereits im kommenden Frühjahr, spätestens aber im Sommer 2015. In einem Jahr – so die letzten, vorsichtigen Prognosen – könnte der Zinssatz bereits bei 1,38 Prozent, Ende des kommenden Jahres schon wieder bei 2,88.

Kommt es tatsächlich zu gegenteiligen Geldpolitik zwischen der FED und der EZB, so ist zu erwarten, dass sich Japan und China an der Europäischen Zentralbank orientieren werden, die Bank of England eher dem Kurs der Federal Reserve Bank folgen wird.

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