Die Zwei-Staaten-Lösung bleibt nur ein Gedankenmodell. Wird Trump Israels kompromißlose Siedlungspolitik unterstützen?
Es gilt als ungeschriebenes Gesetz, dass die jüdische Minderheit in den USA, ein entscheidendes Wörtchen mitzureden hat, bevor die beiden Großparteien ihre Präsidentschaftskandidaten in den Wahlkampf ums Weisse Haus schicken. Voraussetzung ist und bleibt, aus jüdischer Sicht, das bedingungslose und uneingeschränkte Bekenntnis zu Israels Sicherheitspolitik mitsamt allen außen- und innenpolitischen Aspekten, die unumstritten dazugehören: Von der stillschweigenden Akzeptanz, dass Israel eine Atommacht ist und ihre nukleare Vormachtstellung im Nahen Osten mit amerikanischer Unterstützung weiter ausbauen muss, bis hin zur Siedlungspolitik, an der vor allem Premierminister Benjamin Netanyahu verbissen festhält, ob sie die Friedensgespräche mit den Palästinensern gänzlich untergraben oder nicht.
Dabei hatte ihn US-Präsident Obama bereits 2009 zum Siedlungsstopp in den Palästinensergebieten aufgefordert und Friedensgespräche eingemahnt. Doch seine Worte wurden von Netanyahu wie ein lästiger Betriebsunfall ignoriert. Israels Siedlungspolitik und die Chance auf Frieden sind unheilvoll und untrennbar miteinander verknüpft, denn ohne Siedlungsstopp keine Friedensgespräche, und ohne Friedensgespräche keine Zwei-Staaten-Lösung, die sich mittlerweile als ein gut gemeintes Gedankenspiel entpuppt haben, damit Netanyahu seine Kritiker irgendwie besänftigen kann. Dabei wird ein Siedlungsstopp auch künftig auf keiner ernst gemeinten politischen Agenda des Premierministers zu finden sein. Möchte er politisch überleben, darf er den Palästinensern nicht entgegenkommen, ansonsten verstimmt er seine ultrarechten Koalitionspartner. Das uneingeschränkte Bekenntnis zur Siedlungspolitik ist der politische Superkleber, der diese Koalitionsregierung zusammenhält. Trump könnte, sofern wir seine Wahlkampfreden immer noch halbwegs ernst nehmen, Netanyahu von rechts überholen, wie es die Siedlerbewegung hofft. Das würde den Premierminister zwingen, sich endlich einmal festzulegen – Siedlungspolitik oder Friedensverhandlungen?
Im Mai 2009 verlässt Netanyahu das Weisse Haus durch den Hinterausgang: Kein Handshake, keine gemeinsame Presseerklärung – die Siedlungspolitik entzweite Obama und Netanyahu, der Atomwaffendeal mit dem Iran hat dann sogar eine neue kleine Eiszeit hervorgerufen. Gezielte Luftangriffe auf iranische Atomanlagen waren kurzzeitig eine ernsthafte Überlegung.
Letztendlich entscheidet sich Netanyahu aber für einen politischen Gegenschlag: Er verbündete sich hinter dem Rücken Obamas mit den Republikanern im US-Kongress und bekommt im März 2015 von ihrem Vorsitzenden, John Boehner, sogar die Möglichkeit, den Präsidenten öffentlich für seine Iran-Politik scharf zu kritisieren. Das von Netanyahu´s Mitarbeitern (für 18. und 19. März 2015) eingefädelte Treffen mit dem US-Präsidenten lässt Israels Premierminister kurzerhand platzen. Im Weißen Haus erfuhr man von der Absage angeblich aus den Medien. Ein Affront.
Obamas grosses Abschiedsgeschenk an Benjamin Netanyahu hat schließlich historische Tragweite, denn es ist die erste verabschiedete UN-Erklärung zur Situation in Israel und Palästina seit rund acht Jahren: Kurz vor Weihnachten verzichteten die USA im UN-Sicherheitsrat auf ihr Vetorecht und ließen eine Resolution passieren, die nicht nur die Siedlungspolitik verurteilt, sondern alles Land, das Israel im Sechstagekrieg 1967 von Jordanien erobert hat, einschließlich Tempelberg und Klagemauer, als „besetztes palästinensisches Gebiet“ bezeichnet. Was unter dem Strich bedeutet, dass es gar nichts mehr zu verhandeln gäbe. Zudem wird in der Resolution zum vollständigen Siedlungsstopp in den besetzten Palästinensergebieten einschließlich Ost-Jerusalem aufgefordert. Siedlungen wurden als Verstoß gegen internationales Recht und großes Hindernis für einen Frieden in Nahost bezeichnet. Israel überdenkt seither seine Beziehungen zu den Vereinten Nationen und seine diplomatischen Beziehungen zu allen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat.
Logischerweise setzt Netanyahu voll und ganz auf Donald Trump, zählt die Tage bis der neue US-Präsident endlich im Oval Office Platz nimmt. Auch weil Trump seinen Anwalt und Berater David Friedmann, einen unumstrittenen Unterstützer der Siedlungspolitik im besetzten Westjordanland, für den Posten des US-Botschafters in Israel nominiert. Und sollte, wie angekündigt, es tatsächlich zu einer Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem kommen, wäre das ein eindeutiger Bruch mit der bisherigen amerikanischen Nahostpolitik: Jerusalem wurde von der internationalen Staatengemeinschaft nie als Ganzes betrachtet, sondern war und bleibt, weil auch die Palästinenser Jerusalem als ihre Hauptstadt betrachten, ein unlösbarer Streitpunkt im Nahostkonflikt.
Doch weil wir Trump in den nächsten Jahren erleben müssen, werden wir uns auch daran gewöhnen, dass seine Außenpolitik ein schwer nachvollziehbarer Zickzack-Kurs sein wird, der die internationale Staatengemeinschaft vor den Kopf stoßen wird. Er könnte der hohen Diplomatie ein Trümmerfeld hinterlassen, wann immer er einen Tweet aussendet oder wo immer er mit seiner unüberlegten Wortwahl versucht Stellung zu beziehen. Auch im Nahen Osten, wo Jason Greenblatt, ein Bewunderer des verstorbenen Shimon Peres (somit auch ein Befürworter des Osloer Abkommens), künftig als Trumps Unterhändler vermitteln wird. Greenblatt, der Israels Siedlungspolitik nicht bedingungslos unterstützt, Mahmud Abbas lobt, weil dieser zum Peres-Begräbnis erschienen war, wird sich primär mit Friedmann abstimmen muss. Denn von Donald Trump sind weder eindeutige politische Vorgaben noch taugliche außenpolitische Konzepte zu erwarten. Genau genommen weiß Trump bis zum heutigen Tag selbst nicht, wie er dem Nahost-Konflikt begegnen wird.