Mit der Hinrichtung von Troy Davis (42) im US-Bundesstaat Georgia wurde erneut unser Verständnis für Recht und Rechtsstaatlichkeit in seinen Grundzügen erschüttert. „Im Zweifel gegen den Angeklagten“ ist eine Schlussfolgerung gegen die wir alle gemeinsam aufstehen müssen, ob wir Befürworter oder Gegner der Todesstrafe sind.
Den Gerichtsakten zufolge hörte der Polizist Mark Allen McPhail am 19. August 1989, kurz nach Mitternacht, die Hilferufe des obdachlosen Larry Young – auf einem Parkplatz vor einem Burger-King-Restaurant in Savannah, im US-Bundesstaat Georgia. Der 27-jährige Polizist trug zwar seine Uniform, war aber außer Dienst. Als er sah, dass Young von einem Mann zusammengeschlagen wurde, eilte er dem Wehrlosen zur Hilfe. Der Täter rannte davon.
McPhail befahl dem Flüchtenden, er solle stehen bleiben – da drehte sich dieser um, schoss zwei Mal und traf den Polizisten im Gesicht und in der Lunge. McPhail starb, seine Dienstpistole hatte während des gesamten Vorfalls fest im Halfter gesteckt. Noch in derselben Nacht kam es in einem benachbarten Viertel zu einer weiteren Schießerei. Ein Unbekannter feuerte auf einen Mann namens Michael Cooper, als dieser eine Party verließ. Cooper wurde verletzt, überlebte aber. Der Täter soll derselbe sein wie bei der Schießerei auf dem Restaurant-Parkplatz.
Noch am selben Tag , etwa 18 Stunden nach der nächtlichen Tat, verließ Troy Davis – nach Angaben seiner Anwälte -die Stadt Savannah und fuhr zurück zu seinem Onkel nach Atlanta, wo er zu dieser Zeit wohnte, als er erfahren habe, dass die Polizei nach ihm fahndete, weil er in Tatortnähe gesehen worden war. Troy Davis ist freiwillig zurück nach Savannah gefahren, um das Missverständnis aufzuklären.
Troy Davis hielt sich zur Tatzeit in der Nähe des Burger-King-Lokals auf. Das wurde ihm schließlich zum Verhängnis. Er wurde, trotz ständiger Beteuerung seiner Unschuld, 1991 zum Tode verurteilt. Weder wurde eine Tatwaffe gefunden noch gab es DNA-Spuren oder Fingerabdrücke. Seine Verurteilung beruhte ausschließlich auf den Aussagen von neun Augenzeugen. Sieben von Ihnen haben Ihre Aussage widerrufen, weil sie – gemäß ihren eigenen Angaben – seiner Zeit von der Polizei und von der Staatsanwaltschaft unter Druck gesetzt wurden. Von den beiden Zeugen, die ihre Aussage nicht widerrufen haben, ist eine Person psychisch schwer krank. Der damit letzte „Zeuge“ ist Sylvester Coles, der Mann, der ursprünglich selbst unter Tatverdacht stand.
Bei der letzten Anhörung im Juni 2010 ist Sylvester Coles nicht im Gerichtssaal erschienen. Eine Tatsache, die der Richter der Verteidigung vorwarf, weil sie seiner Meinung nach die Fakten verzerre. Die Verteidigung hingegen argumentierte, dass sie keine Möglichkeit gehabt habe, Coles gegen seinen Willen zur Verhandlung zu bringen und „dass es ohnehin keinen Sinn ergibt, jemanden aussagen zu lassen, der kein Interesse daran hat, Troy Davis‘ Unschuld zu beweisen“.
Drei Monate nach Abschluss der Anhörung verkündete Richter William T. Moore sein Urteil, das in die Geschichte der Rechtsprechung eingeht:
„While the state’s case may not be ironclad, most reasonable jurors would again vote to convict Mr Davis of Officer MacPhail’s murder. A federal court simply cannot interpose itself and set aside the jury verdict in this case absent a truly persuasive showing of innocence.“
„Der Fall ist zwar nicht vollkommen wasserdicht, die meisten Mitglieder einer Jury würden jedoch Mr. Davis wieder wegen Mordes an Officer MacPhail verurteilen. Ein Bundesgericht kann sich nicht anmaßen, das Urteil einer Jury zu missachten, wenn die Unschuld des Angeklagten nicht zweifellos bewiesen ist.“
Angesichts der kargen Beweislage hatten sich Papst Benedikt XVI., der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter, die Schauspielerin Susan Sarandon und der Europarat für Davis eingesetzt. Der Generalsekretär des Europarates (von 2004-2009) Terry Davis – er ist mit Troy Davis nicht verwandt – bat eindringlich um Gnade für den zum Tode Verurteilten und warnte vor einem möglichen Justizirrtum. Die Gnadenpedition wurde – laut Medienangaben – von 660.000 Menschen unterschrieben. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International setzte sich für Troy Davis ein. Doch der Gnadenausschuss blieb gnadenlos.
Dabei war Troy Davis während seiner 20-jährigen Gefangenschaft schon dreimal vor der Exekution gestanden, aber jedes Mal wurde ihm wegen andauernder Zweifel an seiner Schuld ein Aufschub gewährt. Am letzten Dienstag schienen alle Zweifel ausgeräumt: Der Bundesstaat Georgia wies das Begnadigungsgesuch von Troy Davis zurück.
US-President Barack Obama hätte Troy Davis nicht begnadigen können, weil dieser von einem Gericht rechtskräftig verurteilt wurde. Allerdings wäre es dem Präsidenten möglich gewesen, die Exekution zu verschieben und eine Untersuchung dieser bundesstaatlichen Angelegenheit zu verlangen. Doch US-Präsident Barack Obama schweigt beharrlich.
Seitdem er ins Weiße Haus eingezogen ist, versucht er kontroversiellen Themen aus dem Weg zu gehen und nur das zu artikulieren, was Amerika auch hören möchte. Die Ideale, die Obama verfolgt, sind Inhalt seiner Wahlkampfreden. Im politischen Alltag verkümmern sie leider zu unbedeutenden Fussnoten.
Die Todesstrafe wurde in den USA vor 33 Jahren wieder eingeführt. Seit damals sind mehr als 130 zum Tode Verurteilte aus der Haft entlassen worden, weil sie fälschlicherweise verurteilt worden sind. Troy Davis gehört nicht zu ihnen. Er wurde am 21. September 2011 um 23 Uhr 08 (Ortszeit) im Staatsgefängnis Jackson durch eine Giftspritze hingerichtet.