Tote geraten viel zu schnell in Vergessenheit. So auch die buddhistischen Mönche, die 2007 in den Straßen von Yangon niedergeschossen wurden, als sie für mehr Freiheit demonstrierten. Sie leben noch heute in unserer Erinnerung. Gleichzeitig verdienen sie unsere Hochachtung und unseren Respekt. Ihnen sind meine heutigen Zeilen gewidmet. Aus meinem Tagebuch:
Es dauerte einige Tage bis die Oberbefehlshaber der burmesischen Armee die 11. Division in den Septembertagen 2007 nach Yangon verlegt hatten. Während dieser Zeit gab es kurz einmal die Hoffnung, dass die Massendemonstrationen der Mönche, an denen sich Tag für Tag auch mehr und mehr Zivilisten beteiligten, stillschweigend hingenommen werden. Ausgelöst wurden die Unruhen als die Treibstoffpreise über Nacht drastisch angehoben wurden – um 100 Prozent. Schlagartig stiegen auch die Lebenshaltungskosten. Aus dem Protest gegen die Preiserhöhungen wurde sehr schnell ein Aufstand gegen die Vorherrschaft der Generäle. Als die Patienten vereinzelter Spitäler nach Hause geschickt wurden, weil vorhersehbar war, dass sehr bald Spitalsbetten benötigt werden, war klar, dass ein Blutbad droht.
Einsatz der Elite
Die 11. Division, gilt als “befehlstreu” und “skrupellos“. Ihre Soldaten empfinden Warnschüsse als Schande, denn sie wurden ausgebildet um gezielt auf Menschen zu schießen. Ob Mönche oder Kinder, ob Karen oder Burmesen – es macht für sie keinen Unterschied. Bis vor wenigen Jahren unterstanden sie dem Befehl von Lt. Gen. Khin Nyunt, dem späteren Premierminister, der seinen Machtkampf gegenden ´Hardliner´ Deputy Senior General Maung Aye verlor, abgesetzt, und unter Hausarrest gestellt wurde.
Unzählige Journalisten hatten sich zudiesem Zeitpunkt bereits im Traders-Hotel von Yangon einquartiert. Von hier hatten sie einen hervorragenden Überblick über das Geschehen entlang der´Sule-Pagoda Road´. Die meisten von ihnen waren mit Touristenvisa eingereist, nur um sich halbwegs frei in der Stadt bewegen zu können und nicht ständig bespitzelt zu werden. Als die ersten Warnschüsse, nahe der Shwedagon-Pagode, knapp über die Köpfe der tausenden Demonstranten abgefeuert wurden, brach Panik aus. Die Masse strömte auseinander. Jeder Einzelne versuchte aus der Schusslinie zu fliehen, irgendwo in Deckung zu gehen. Ältere Männer und kleine Kinder, die den Demonstrationszug anfangs aus sicherer Entfernung beobachteten, wurden einfach überrannt.
Wer die Waffen hat, gewinnt
Knapp zwanzig Minuten später formierten sich die Mönche erneut. In ihren Gesichtern spiegelte sich nun Wut und Hass, grenzenlose Entschlossenheit und ihr unbeugsamer Wille. Jeder Einzelne war zu diesem Zeitpunkt bereit zu sterben, wenn dieses Regime nur gestürzt werden kann.
Ein kurzer, skandierter Befehl, unzählige Schüsse und die Mönche in der ersten und zweiten Demonstrationsreihe brechen zusammen. Teils schwer verletzt versuchen sie sich bis zum Straßenrand zu schleppen. Ihre safranfarbenen Roben färbten sich schlagartig blutrot. Wer unverletzt war, rannte um sein Leben. Verwundete und Tote wurden von Soldaten auf Lastwagen gezerrt und abtransportiert. Nahe der Sule Pagode wurden zu Sonnenuntergang 35 leblose Körper abgeladen um die Bevölkerung weiter einzuschüchtern. Trotzdem soll es nach offiziellen burmesischen Angaben „nur“ 9 Tote an diesem Tag gegeben haben. Das burmesische Staatsfernsehen überträgt noch am selben Abend einen nationalen Gesangswettbewerb.
Das Militär hatte wieder die Oberhand gewonnen. In den Straßen von Yangon ist der Schrei nach Freiheit schnell wieder verstummt. Während der Ausgangssperre glich Yangon einer belagerten Stadt. Tausende Soldaten patrouillierten durch die Straßen. Türen und Fensterläden blieben fest verschlossen. In den Seitengassen herrschte gespenstische Ruhe.
Bis kurz nach Mitternacht hunderte Soldaten unzählige Klöster stürmten; mit ihren Gewehrkolben verprügelten sie friedliche Mönche, beraubten sie anschließend ihrer religiösen Tracht und brachten tausende von ihnen in ein Internierungslager. Größere Klöster wurden für mehrere Tage umstellt bis die schwer- und schwerstverletzten Mönche langsam ihren Verletzungen erlegen waren. Erst dann war es wieder erlaubt Trinkwasser, Nahrungsmittel und Medikamente herbeizuschaffen um das Kloster zu versorgen.
Kyaikesan, ein veraltertes, völlig heruntergekommenes Stadion, wo früher Pferderennen veranstaltet wurden, diente dem Militär als Auffanglager. Zehntausende Demonstranten wurden hierher gebracht und ohne Wasser für zumindest zwei Tage festgehalten. Wer hier letztendlich auf mehreren Seiten unterschrieb und somit bestätigte, dass er sich nie wieder an Demonstrationen und politischen Protesten beteiligen wird, wurde freigelassen.
Endstation „Insein“
Rund viertausend Demonstranten – Mönche und Zivilisten – wurdenin die rostigen, blaue Gefängnisautos gepfercht und in den Norden vonYangon, nach Insein, gebracht. Dieser Stadtteil wird von einem der größten Gefängnisse des Landes beherrscht. Taschendiebe und kleine Betrüger wurden vorzeitig aus der Haft entlassen, nur um Platz zu schaffen für Demonstranten und Regimekritiker. Unter ihnen U Win Naing, ein 70 Jahre alter Pionier der burmesischen Demokratiebewegung, und derSchauspieler Zaganar. Er hatte als Zeichen der Solidarität ein Mittagessen für demonstrierende buddhistische Mönche organisiert. Er arbeitet in den USA für VOA (Voice of Amerika) und kehrt sofortin seine Heimat Myanmar zurück, wann immer gegendie Junta demonstriert wird.
Im Gefängnis von Insein, wo – laut Menschenrechtsorganisationen – „die Folter keine Ausnahme ist“, wurde Mitte 2009 Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi der Prozeß gemacht: Ein amerikanischer Mormonenprediger hatte den Inya Lake in Yangon durchschwommen, um die Oppositionsführerin in ihrem Haus zu besuchen. Damit hatte Aung San Suu Kyi selbst gegen die Regeln des Hausarrestes verstoßen, argumentierte die Anklage damals.
Auch mutmaßliche Anführer der September-Unruhen des Jahres 2007 wurden in Insein vor Gericht gestellt bzw. gefoltert. Gerüchten zur Folge sollen die Ideen für neue Foltermethoden oftmals aus dem kleinsten Kreis einflussreichster Generäle stammen. Primäres Ziel ist es nicht nur den Körper zu verunstalten und dem Beschuldigten unbeschreibliche Schmerzen zuzufügen, sondern vor allem seine Psyche für lange Zeit auszuschalten.
Häufigste offizielle Todesursache im Gefängnis von Insein ist jedoch „Malaria“. Dabei ist es keine Seltenheit, dass der leblose Körper des Gefangenen noch vor dem Eintreffen der Angehörigen verbrannt wird. Vielleicht um Spuren der wahren Todesursache zu vernichten? Sicher ist, dass der gebrochenen Mutter bzw. Ehefrau am Gefängnistor lediglich die Kleider des Toten überreicht werden. Fragen werden keine beantwortet.
Verbranntes Menschenfleisch
Nur wenige Tage nach den blutigen Unruhen wurde wenige Autominuten von derBusstation Yeway entfernt (zwischen Nord Okkalapa und Mingaladon), ein weiteres Verbrechen vorbereitet: Wer hier lebt und nicht in einem Strafgefangenenlager irgendwo im Dschungel des Landes verenden möchte, musste sich für mehrere Stunden hinter verschlossene Türen und verriegelte Fensterläden zurückziehen. Vor allem den Bewohnern rund um den Friedhof war es strengsten verboten aus ihren Häusern zu kommen oder auch nur einen Blick aus ihren Fenstern zu werfen.
Alle Friedhöfe der Stadt gehören zum YCDC (Yangon City Development Council). So waren es auch Mitarbeiter des YCDC, die auf Befehl des Militärs, zwei Lastwagenladungen mit Toten und Schwerverletzten zum Friedhofsgelände bringen mussten. Hier wurden dann leblose Körper, genauso wie bewusstlose Schwerverletzte und Schwerstverletzte, die durchaus noch bei Bewusstsein waren, im Dunkel der Nacht verbrannt.
Ihr Klagen und Wehgeschrei sowie der Geruch von verbranntem Menschenfleisch waren bleibende Eindrücke, die die beteiligten YCDC – Mitarbeiter in den kommenden Tagen an den Rand des Wahnsinns trieben. Viele sind bis zum heutigen Tag nicht in der Lage darüber zu sprechen – auch aus Angst vor dem Militär; andere haben sich von ihren Familien für immer verabschiedet und sind nach Thailand geflohen.
„Alles verstehen heißt alles verzeihen.„
Buddha