Aleppo zeigt, dieser Krieg wird auf dem Schlachtfeld entschieden. Egal wie viele Menschen sterben müssen. Warum hat Putin kein Interesse an einer friedlichen Lösung?
Vladimir Putin verfolgt in Syrien Interessen, die sich mit jenen des Westens nicht vereinbaren lassen. Das ist legitim. Auch wenn das in Washington nicht gerne gehört wird. Er möchte, dass der syrische Diktator Bashar al-Assad weiterhin an der Macht bleibt, deswegen unterstützt er ihn mit allen militärischen Mitteln. Von offizieller Seite betont Russland immer wieder, in Syrien einen Kampf gegen Terrorismus und Extremismus zu führen – gegen die Assad-Gegner und gegen die IS-Kämpfer. Die eigentlichen Motive sind vielschichtiger, werden aber nie offen ausgesprochen.
Das Elend und Leid der Zivilbevölkerung spielt in diesem Krieg überhaupt keine Rolle mehr. Das zeigt die hoffnungslose Lage der Menschen in und um Aleppo. Es geht einzig und allein um politische, wirtschaftliche und militärstrategische Interessen. Moralische Bedenken sind nur noch Mittel zum Zweck: Sie werden am Runden Tisch des UN-Sicherheitsrates dann formuliert, um die militärische Vorgangsweise oder den Einsatz von chemischen Waffen, wie Fassbomben mit Giftgas, scharf zu kritisieren. Letztendlich ist es aber sowohl den USA, als auch Russland und Syrien völlig egal, wie viele Menschenleben dieser Krieg kostet. Dass auch die Überlebenden zu den Opfern zählen, ist mittlerweile unbestritten.
Putin sieht seine Interessen gefährdet, sollte Assad durch eine Übergangsregierung ersetzt werden. Bevor es zu Friedensverhandlungen mit allen beteiligten Gruppierungen kommt, müssen bereits eindeutige Machtverhältnisse herrschen. Gewinner und Verlierer müssen, aus russischer Sicht, zu diesem Zeitpunkt bereits eindeutig feststehen. Der Krieg soll Assad stärken, das Kriegsende soll ihn und seine uneingeschränkte Herrschaft bestätigen. Dann wird Russland seine hohen politischen und wirtschaftliche Forderungen für die militärische Unterstützung sehr konkret formulieren.
Und für den Fall, dass es irgendwann doch zur Machtteilung zwischen dem Baath-Regime und den Oppositionsgruppen kommen sollte, würde die russische Armee vor Ort das endgültige Ende der syrischen Streitkräfte verhindern. Wie viel Einfluss der Iran und die Hisbollah in einem solchen Fall ausüben könnten, ist fraglich. Auf jeden Fall müssten auch sie zunächst einmal an Putin vorbei.
So gut das Verhältnis zwischen Vladimir Putin und Basar al-Assad auch sein mag, die mehr als 30-jährige russisch-syrische Partnerschaft dreht sich nicht nur um die Person des syrischen Diktators, sondern um strategische und wirtschaftliche Interessen: Der Marinestützpunkt Tartus muss auf jeden Fall in russischer Hand bleiben, denn es ist Putins wichtiger (syrischer) Zugang zum Mittelmeer. Assad ist derzeit der einzige Garant, dass Russland hier auch in Zukunft rund 1000 Soldaten stationieren kann. Deshalb ist Putin auch an keinem Neubeginn in Syrien interessiert.
Wohin die kurzsichtigen Regimewechsel im Irak und in Libyen geführt haben, wissen wir. Rückblickend waren Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi das geringere Übel, halbwegs bekannte, somit auch halbwegs kalkulierbare Charaktere, vor allem aber gute Geschäftspartner. Russland verlor mit Gaddafi einen politischen Verbündeten und auch mehrere Milliarden an Rüstungs- und Wirtschaftsaufträgen. Daraus hat der Kremlchef seine Lehren gezogen, so etwas passiert ihm in Syrien nicht mehr.
Der russische Erdölgigant Tatneft möchte in Syrien ein neues Ölfeld erschließen. Voraussichtliches Investitionsvolumen: 10 Milliarden Euro. Auch die syrische Armee ist, und soll auch künftig ein zahlungskräftiger Kunde bleiben. Zu Beginn des Konflikts im März 2011, als es noch ein syrischer Bürgerkrieg war, hat Russland dem Assad-Regime Flugzeuge, Boden-Luft-Raketen und Artillerie im Gesamtwert von 3,5 Mrd. Euro verkauft. Im Dezember 2011 traf dann die erste Lieferung von „Jachont“-Raketen in Damaskus eingetroffen. Seither sind, laut der russischen Tageszeitung „Kommersant“, noch Gewehre, Granatwerfer, aber auch moderne Schützenpanzer vom Typ BTR-82A sowie „Ural“-Lastwagen für Truppentransporte hinzugekommen.
Auf Twitter wurden zudem Aufnahmen von Antonow-124-Frachtmaschinen verschickt, die u.a. gepanzerte Fahrzeuge transportieren können. Am Himmel über Aleppo wurden Suchoi Su-34-Kampfjets gesichtet – sie gehören zu den modernsten und neuesten russischen Jagdbombern. Nach den Fotos und Videos zu urteilen, werden sowohl einfache Freifallbomben (meistens FAB-250), aber auch modernere gelenkte Bomben KAB-500 in Syrien abgeworfen.
Syrien ist nicht nur ein blutiger Kriegsschauplatz, sondern eine perfekte Gelegenheit für die russische Armee, neue Waffen zu testen und Informationen über amerikanische Waffensysteme zu sammeln, vor allem über den F-22-Jäger der 5. Generation. Das gilt natürlich auch für das Pentagon. Trotzdem setzen die Großmächte in erster Linie auf sichere und bewährte Waffen, die im Kampf nicht versagen. Denn jeder Fehler unerprobter Waffensysteme findet große Resonanz und spielt der Informationskampagne des Gegners in die Hände.
Der Krieg in Syrien hat Europa eine Flüchtlingskrise beschert, die den Kontinent zu spalten droht. Die europäische Politik ist vor die gewaltige Herausforderung gestellt, einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Doch die aufgebrochenen ideologische Gräben scheinen unüberwindbar. Diese Sisyphus-Aufgabe droht EU-Europa in eine Dauerkrise zu stürzen. Europa ist mit sich selbst beschäftigt. Dafür sorgt der Flüchtlingsstrom, solange kein Ende des Syrienkrieges in Sicht ist. Auch dahinter könnte Putins zynisches Kalkül stecken. Eine Art Vergeltung für die Ukraine-Sanktionen?