SPÖ-Parteizentrale in Wien © Raoul Kirschbichler

SPÖ: Führungslos im freien Fall

Der radikale Umbau der SPÖ muss warten. Alte Clans kämpfen um neue Vorherrschaften. Niemand spricht ein Machtwort. Steht am Ende doch noch eine Führungsdebatte?

Meinungsvielfalt verdeutlicht Lebendigkeit und Offenheit. Also, was wollen wir mehr? Die Sozialdemokratie lebt und verdeutlicht erneut, dass sie eine politische Bewegung mit vielen unterschiedlichen Vordenkern ist. Nur der Wahlkampf hat die hitzigen Flügelkämpfe und die offen ausgetragenen internen Konflikte kurzfristig eingefroren. Bis zum Wahltag herrschte Schweigen, musste Schweigen herrschen.

Während sich die politischen Schwergewichte schon auf die Zeit nach dem Wahldebakel vorbereiteten, ließen sie die Spitzenkandidatin gewähren. Und es dauerte sehr lange, bis aus einer über-coachten Frau eine halbwegs ernstzunehmende Wahlkämpferin wurde. Dass sie nicht die geborene, coole oder charismatische Rhetorikerin mit überzeugender Gestik und mitreißender Mimik ist, war von Anfang an klar. Ihr politisches Profil konnte sie dennoch schärfen und letztendlich präsentiert sie sich österreichweit als tapfere und kämpferische Seele, die sich vor allem für mehr Menschlichkeit einsetzen möchte. Schön und gut.

Als das Wahldebakel feststand, der übliche Katzenjammer unüberhörbar war, die Richtung dennoch positiv analysiert wurde und die glücklose Spitzenkandidatin als Vorsitzende bestätigt werden musste, weil weit und breit keine Alternative in Sicht, galt es das Wort Erneuerung schnell mit Vorstellungen zu füllen: von der strukturellen Umgestaltung, wie sie vor allem aus Kärnten gefordert wurde, bis hin zur inhaltlichen Neupositionierung, die die österreichische Sozialdemokratie endlich und nun tatsächlich ins 21. Jahrhundert führen soll. Auf Plan A folgt demnach Plan B. Hauptsache niemand ist planlos.

Der neue Alte

Sofort waren die alten Grabenkämpfe wieder aufgebrochen. Ein erster Aufschrei enttäuschter Reformwilliger galt dem glücklosen Wahlkampfmanager, als dieser in einer beispiellosen Hüftschussaktion zum neuen Bundesgeschäftsführer bestellt wurde. Ohne Wenn und Aber. Die Chefin selbst hat so entschieden. Sie wollte nach dem Wahldebakel schnell einmal Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit demonstrieren, nachdem sie die Richtung abgesegnet hatte. Herausgekommen ist das schlechteste Beispiel ihrer Entscheidungsfähigkeit. Es ist ein ungeschriebenes Parteigesetz, dass sie in kritischen Momenten gerne, gar keine oder falsche Entscheidungen trifft, voreilig, ohne großen Weitblick, nach kurzer Absprache mit dem roten Wien.

Hinaufgelobt hat sie einen echten Zündler, einen typischen Apparatschick mit verstaubter parteipolitischer Geisteshaltung, der konsequent-ausdauernd und kompromisslos die Demontage des ehemaligen Bürgermeisters vorangetrieben hat, um dem amtierenden in Amt und Würden zu verhelfen. Zum Glück konnte die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend mit einem Nationalratsmandat versorgt und ruhig gestellt werden. Ihre entschlossene Aufbruchstimmung und ihr politisches Talent sind in der Parteizentrale unerwünscht. Der neue Bundesgeschäftsführer würde neben ihr noch älter aussehen, vermutlich sogar reaktionär erscheinen, würde sie die zweite, eigentliche Reformkraft in der Zentrale sein. So groß ist das Reformbedürfnis dann wieder doch nicht.

Trotzdem wurde wieder großspurig Reformwille proklamiert und verkrampft Aufbruchsstimmung signalisiert. Die Flucht nach Vorne ist bezeichnend, ob sie auch richtungsweisend ist, wird sich erst herausstellen müssen. Auch, ob kämpferische Entschlossenheit und ein wenig Einsicht ausreichen, um alte Denkmodelle am Eingang in die Parteizentrale abzugeben. Über Nacht wurde noch niemand zum ernsthaften Reformer. Eine tiefgreifende Erneuerung der österreichischen Sozialdemokratie muss aus Überzeugung, nicht nur aus einer Notsituation heraus entstehen, soll es nicht wie ein verzweifelter Fluchtversuch aus dem langsamen Niedergang aussehen.

Sportkarossen und Gehälter

Zukunftlabors sollen nun eingerichtet werden, ihre substantiellen Ergebnisse will die Partei am Tag der Arbeit verkünden, weil es angeblich einen Schrei nach guter sozialdemokratischer Politik gibt. „Labor bedeutet Versuch, wir werden hier mutig sein und gemeinsam mit Zivilgesellschaft, Wissenschaft und KünstlerInnen über den alltäglichen politischen Tellerrand schauen“, heißt es in einer Presseaussendung.  Alles klingt umständlich, schwer vorstellbar und oberflächlich: So brauche es zudem eine emotionale Klammer um die sozialdemokratischen Inhalte, die klar zeigt, wofür wir stehen und die auch nach innen stärkend wirken soll.

Bezeichnenderweise geht es aber zunächst einmal um mehr oder weniger lukrative Verträge, um die Sportkarossen und Gehälter hoher Genossen. Unter diesem Deckmantel kämpfen alte Clans um neue Vorherrschaften. Internes wird  öffentlich ausgetragen, alte Rechnungen müssen jetzt beglichen werden. Ohne Rücksicht auf das bereits schwer ramponierte Partei-Image. Der Selbstzerstörungstrieb droht eine unaufhaltsame Eigendynamik zu entwickeln, weil kein Machtwort gesprochen wird. Die Parteivorsitzende und 88-Prozent-Klubobfrau verliert sich lieber in Analysen mit Wortspielcharakter: Dass diese Form der Selbstbeschäftigung zur Selbstbeschädigung führt, ist dabei keine so umwerfende Erkenntnis.

Eine Bundespartei im freien Fall ohne überzeugender Führungskraft. Auch die Debatte um den Parteivorsitz bekommt wieder Treib- und Zündstoff. Weit und breit ist niemand in Sicht, der oder die das rote Pulverfass von der brennenden Lunte wegschiebt. Die nächste Explosion ist leicht zu prognostizieren: am 24. November 2019. Bis dahin können sich die unbeqeumen, angeblichen Querdenker, die vieles nicht richtig verstanden haben, zurücklehnen. Denn dass die sogenannte große Trendumkehr (+ 0,7 Prozent), die die Sozialdemokratie in Vorarlberg erleben durfte, in der Steiermark ihre Fortsetzung finden wird, darf ernsthaft bezweifelt werden.

 

 

Zur Werkzeugleiste springen