Laurent Gbagbo (66), der Ex-Staatschef der Elfenbeinküste, steht in Den Haag vor Gericht. Die Anklage wirft ihm unter anderem Mord und Vergewaltigung vor. Er selbst erhebt schwere Vorwürfe gegen die französische Armee. Menschenrechtsorganisationen vermuten eine Art „Siegerjustiz“.
Wie der ehemalige Innenminister der Elfenbeinküste, Désiré Tagro, am 12. April 2011 tatsächlich gestorben ist, wird wahrscheinlich immer ein Rätsel bleiben. In seiner ersten Stellungnahme bei einem Anhörungstermin vor dem Strafgerichtshof in Den Haag, erklärte Ex-Präsident Laurent Gbagbo: „Ich habe gesehen wie mein Sohn verprügelt und der Innenminister getötet wurde.“ Ausländische Diplomaten sind sich sicher, dass Innenminister Targo verletzt in ein Golfhotel gebracht worden ist. Im selben Hotel, auf Zimmer 468, wurde auch der ehemalige Staatschef Laurent Gbagbo eingesperrt. Und zwar gemeinsam mit seinem Sohn, seiner Frau und seinem Leibarzt. Innenminister Désiré Targo ist 24 Stunden nach seiner Festnahme in einer Klinik gestorben.
Sowohl Ex-Staatschef Gbagbo als auch sein Innenminister Désiré Targo sind Parteimitglieder der Front Populaire Ivoirien (FPI). Ihr Parteichef, Pascal Affi N’Guessan, liess seine Version vom Tod des Innenministers über die Presseagentur Agence France Press veröffentlichen: „Innenminister Désiré Tagro ist am 12. April 2011 im Golf-Hotel von Abidjan erschossen worden“. Der neue Regierungssprecher und ausländische Diplomaten beharren allerdings darauf, dass der Innenminister versucht hat, sich selbst das Leben zu nehmen, als er verhaftet wurde. Dabei muss festgehalten werden, dass das besagte 5-Sterne Golf-Hotel Inter-Continental in Abidjan auch das Hauptquartier des neuen Präsidenten Alassane Ouattara war. Hier residierte die neue Regierung seit den letzten Wahlen im November 2010.
Nach Angaben der sogenannten Unabhängigen Wahlkommission (CEI, Commission Électorale Indépendante de Côte d’Ivoire) hatte Oppositionsführer Alassane Ouattara die Stichwahl am 28. November 2010 gegen Laurent Gbagbo gewonnen. Der Verfassungsrat widersprach der Wahlkommission und erklärte Laurent Gbagbo zum Sieger. Ungeachtet internationaler Proteste legte Laurent Gbagbo am 4. Dezember 2010 vor dem Verfassungsrat einen Amtseid für eine zweite Amtszeit ab. Kurz darauf legte jedoch auch Alassane Ouattara in einem an den Verfassungsrat adressierten Brief den Amtseid als Staatspräsident ab, so dass die Elfenbeinküste bis April 2011 zwei Präsidenten hatte.
Bis dahin tobte ein blutiger Bürgerkrieg. Den Sieg verdankt Präsident Alassane Ouattara den UNO-(Kampf)-Truppen und der französischen Armee! Auch gegen ihn stehen immer noch schwere Vorwürfe im Raum, seine Anhänger hätten im Machtkampf mit den Truppen des unterlegenen Gbagbos diverse Menschenrechtsverletzungen begangen. Selbst die Vereinten Nationen warnen davor einseitig zu verurteilen. Doch im Handumdrehen erklärt ein UN-Pressesprecher, dass Ex-Präsident Laurent Gbagbo, für den Tod von zumindest 325 Menschen verantwortlich gemacht werden kann. Zurück bleibt der Eindruck, dass eine Art Siegerjustiz nun die Oberhand gewonnen hat.
Chefankläger Moreno-Ocampo teilte mit, es gebe hinreichende Gründe anzunehmen, dass Truppen Gbagbos seinerzeit in Abidjan sowie im Westen der Elfenbeinküste gezielt Zivilisten angegriffen haben, die sie als Sympathisanten des neu-gewählten Präsidenten ansahen. Die brutalen Anschläge sollen Teil eines von Gbagbo inszenierten Plans zur Erhaltung seiner Macht gewesen seien. Der Beschuldigte und mehrere seiner Verbündeten hätten volle Kontrolle über die Truppen gehabt und seien deshalb persönlich für die von ihnen verübten Verbrechen verantwortlich zu machen, erklärte die Staatsanwaltschaft. Die Höchststrafe, die der Internationale Strafgerichtshof verhängen kann, ist lebenslängliche Haft.
Richterin Silvia Fernández de Gurmendi ist sich allerdings gar nicht sicher, ob die Beweise die Anschuldigungen ausreichend unterstützen. Die Anklage hat bis zum 18. Juni 2012 Zeit bekommen. Erst dann wird das Gericht entscheiden, ob die Beweislast für einen Prozess tatsächlich ausreicht. Deswegen ist es – zum derzeitigen Zeitpunkt – mehr als nur angebracht hinzuzufügen: Es gilt die Unschuldsvermutung!
„Der Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste war ein Machtkampf zweier Politiker. Sie wollten um jeden Preis Präsident werden, selbst wenn sie dafür bis zu den Knien durch Blut waten müssen.“erklärte Jens-Uwe Hettmann, 56, jahrelanger Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Abidjan.