Räumliche Revolution,© pixabay

Räumliche Revolution

Schlagartig veränderte Covid-19 unsere Arbeitswelt und ersetzte die Präsenzkultur in Unternehmen durch Homeoffice. Ist die neue Art und Weise zu arbeiten nur eine Corona-bedingte Notlösung oder eine Revolution mit Auswirkungen auf unsere Wohnraum- und Stadtplanung? 

Die Stiegenaufgänge sind zahlreich – und nicht wenige führen zum aufwendig bepflanzten Dachgarten; von hier hat man einen beeindruckenden Weitblick über das Marschland der Bucht bis zur Suburbia von Palo Alto: die Rede ist vom größten zusammenhängenden Bürokomplex der Welt – 40.000 Quadratmeter groß –, der vom Stararchitekten Frank Gehry im kalifornischen Menlo Park im Silicon Valley errichtet und von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg im März 2015 eröffnet wurde. 

Alleine in der ersten Etage der Facebook-Zentrale arbeiten 2.800 Mitarbeiter auf vielen, kleinen sogenannten Workstations verteilt. Weltweit zählt Facebook 44.492 Beschäftigte (2019) – und in nur zehn Jahren wird „rund jeder zweite von ihnen im Homeoffice arbeiten“, schätzt Mark Zuckerberg in einem Interview mit dem Technologie-Blog The Verge im Mai diesen Jahres. Aufgrund der Corona-Pandemie wechselten rund 90 % seiner Mitarbeiter ins Homeoffice. Das Arbeiten von Zuhause habe sich, laut Zuckerberg, als effizienter erwiesen als erwartet. 

„Innovationen, wissenschaftliche Ergebnisse und neuartige Dienstleistungen haben eines gemeinsam: Sie setzen voraus, dass man in der Lage ist, durchgehend konzentriert an einer Aufgabe arbeiten zu können, ohne sich ablenken zu lassen. Das geht im Homeoffice besser. Insofern kann die sinnvolle Anwendung von Homeoffice ein Wettbewerbsvorteil sein, weil auch die Qualität der Arbeit davon profitiert“, meint auch Christoph Augner, Organisationspsychologe und Hochschullehrer im Gesundheitswesen, in seiner E-mail an Forbes. 

Weitere Homeoffice-Vorteile für Mensch und Umwelt liegen auf der Hand: Von überall aus kann zugearbeitet werden, Mitarbeiter müssen weder umziehen noch pendeln und der Stau im Morgen- oder Abendverkehr wird damit auch umgangen. Das Unternehmen spart Parkplätze, auf Dauer Mieten für kostspielige Büroflächen und Reinigungskräfte – selbst die Betriebskantine würde irgendwann überflüssig werden. 

Auch eine Umfrage unter 1.000 Erwachsenen in Österreich, die Dieter Scharitzer, Geschäftsführer des Makrtforschungsinstituts TQS Research & Consulting, gemeinsam mit Talk Online Panel, einem Betreiber von Online Research Communities und Online Panels, im April durchgeführt hat, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis : 86% können Job und Familie gut bzw. sehr gut miteinander vereinbaren, fast 60% haben den Eindruck, dass ihre Produktivität höher ist als im Büro und 70% macht die Arbeit von zuhause aus Spaß – sie wollen auch nach der Corona-Pandemie diese Möglichkeit verstärkt nutzen.

Doch das Recht auf Homeoffice bzw. Telearbeit, so wie es bereits in den Niederlanden existiert und in Deutschland bis kommenden Herbst als Gesetzesentwurf vorliegen soll, gibt es in Österreich noch nicht. „Soweit eine Arbeitsleistung von zu Hause aus möglich ist“, gilt selbst in Corona-Zeiten, dass das Arbeiten von zu Hause, „zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer klar vereinbart sein muss”, heißt es auf der Webseite der Österreichischen Wirtschaftskammer (WKO). 

Zudem: Homeoffice-Mitarbeiter einfach mit einem Laptop auszustatten, wird nicht ausreichen. „Es geht darum, Arbeitsprozesse und Workflows so zu digitalisieren, dass eine gute Arbeitsgestaltung erfolgen kann. Die Meeting-Kultur wird sich in vielen Bereichen ändern müssen, die Fähigkeit zur Selbstorganisation der Mitarbeiter muss gestärkt, das Reporting angepasst werden“, so Augner. Außerdem warnt er: „Gerade in der Coronakrise haben wir gesehen, dass Homeoffice und Betreuungspflichten zu einer enormen Belastung führen können, die zum Teil schwerwiegende psychische und physische Auswirkungen haben.”

Hinter dem gelebten Homeoffice der Zukunft mitsamt seinen neuen, vor allem aber flexibleren Arbeitszeitmodellen besteht nämlich auch die Gefahr, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen. In seinem Buch ‚Selbstoptimierung ist auch keine Lösung‘ vertritt Augner die These, „dass es nicht darum geht, noch mehr Tätigkeiten irgendwo hineinzustopfen, sondern zu identifizieren, was wirklich wichtig ist. Insofern gibt es das Potential, dass Mitarbeiter im Homeoffice effizienter arbeiten – nicht weil sie schneller sind, sondern weil viele unnütze Dinge weggelassen werden.“ Damit die Grenzziehung zwischen Arbeit und Freizeit tatsächlich gelingt, empfiehlt er „durch bestimmte Rituale wie das Wegsperren von Arbeitsunterlagen mit dem Arbeitstag abzuschließen.“ 

Die Pandemie, Digitalisierung und Globalisierung sowie auch demographischer Wandel – durch verschiedene Faktoren könnten letzten Endes Homeoffice-Lösungen die Regel und nicht mehr die Ausnahme sein. „Der Corona-bedingte Digitalisierungsschub trägt zu einem verstärkten Verschmelzungsprozess öffentlich ausgetragener Aktivitäten im Privaten bei, wodurch der Fortbestand von Arbeit, Kommunikation sowie Besorgungen anhand digitaler Behelfe ermöglicht wird“, meint der Wiener Architekt und Inhaber des Studio-Calas, David Calas. 

Eine Blitzumfrage von e-dialog.at, einer Agentur für Datadriven Advertising in Wien, ergab: Im Mai befanden sich 50% aller österreichischen Beschäftigten überwiegend oder ausschließlich im Homeoffice. Bis zum Jahr 2024, so prognostiziert Stefan Sennebogen, Country Manager beim IT-Produkte und -Service-Anbieter Insight in Österreich, gegenüber report.at, wird es einen Anstieg auf 60% geben. Er ist sich sicher, „dass nicht nur der Anteil im Privatsektor steigen wird. Vor allem in Grundversorgungsbereichen wie Behördendienste, Gesundheits- oder Bildungswesen wird der Ausbau von Homeoffice wie auch neuer digitaler Services massiv vorangetrieben.“ 

Aus architektonischer Sicht könnte dies mit einer Planung beginnen, „die lediglich notwendige Räume vorgibt, Wände als flexible Raumelemente denkt und schnelle Umgestaltungsmöglichkeiten für die Bewohner garantiert“, erklärt Calas und kommt zu dem Schluss: „Der Raum passt sich am Leben an und nicht umgekehrt.” Er fordert „planerische Umdenkprozesse, die sich bei Neubauten, aber auch im Bestand realisieren lassen und sich letztendlich auch dem Homeoffice im jeweiligen Karriereschritt besser anpassen können.“

Wird das Großraumbüro also schrittweise zum Auslaufmodell? Aus reiner Kostenperspektive – viele Mitarbeiter auf engem Raum – wird es immer überlegen sein. Diesem Aspekt stimmt auch Harvard Professor Ethan Bernstein zu, der in seiner jüngsten Studie The Impact of the “Open” Workspace on Human Collaboration die Nachteile von Großraumbüros untersuchte. Dem Ergebnis der Studie nach senken der ständige Geräuschpegel und das lebhafte Umfeld die Produktivität, indem dadurch die Konzentrationsfähigkeit schneller abnimmt. Wo Rückzugsmöglichkeiten fehlen, würde der Mensch versuchen, sich welche zu schaffen – sei es durch Kopfhörer oder die Flucht in digitale Kommunikation, die persönliche Kontakte zu vermeiden hilft. Kurzum: großer Raum, kleinere Leistung. 

Wenn die Akzeptanz des Homeoffice weiter zunimmt, auch weil der Output wichtiger wird als die Präsenzkultur im Unternehmen, und künftige Büros sich verstärkt durch Gestaltungsfreiraum und Kreativzonen auszeichnen wie die Fb-Zentrale, was geschieht dann mit den leergefegten Büroflächen und den riesigen Bürotürmen in den teuersten Metropolen der Welt? Sie verlieren schrittweise ihre ökonomische Berechtigung.   

„Neunutzungen verschiedenster Art, Zwischennutzungen und Umwidmungen von Bürobauten kann ich mir gut vorstellen, zumal Bürobauten durch den Open-Office Trend eine flexible Handhabung in der Bespielung des Grundrisses zulassen. Anders verhält es sich mit den gängigen Fassaden von Bürobauten, die wohl kreativer und auch abseits normativer Reglementierungen bearbeitet werden müssten“, erläutert David Calas. Er rechnet damit, dass “monofunktionale Nutzungen von ökologischen und flexiblen Innovationen abgelöst werden.” 

Energiesparende Gebäude, ein Ausbau der erneuerbaren Energieträger mitsamt der Reduktion der Treibhausgasemissionen zählen zu den wichtigsten Kriterien für Smart Citiy-Projekte, heißt es sinngemäß auf der Webseite von ecotechnologie.at: “10% aller Smart City Projekte der EU befinden sich in Österreich.” Darüber hinaus orientiert sich die Stadtplanung sehr stark an der Frage, welche (umweltverträgliche) Rolle das Auto künftig noch spielen kann? 

Im Mai letzten Jahres erhielt Elon Musks kalifornisches Unternehmen The Boring Company (TBC) von der Las Vegas Convention Authority (LCCVA) den Zuschlag für das Millionenprojekt The Loop: Bereitgestellte Tesla-Modelle sollen Menschen in Las Vegas unterirdisch vom Covention Center zum Campus bis zur Exhibit Hall bringen. Bereits vor wenigen Wochen ist der erste Streckenabschnitt fertiggestellt worden, berichtete futurezone.at: “Wie auf Schienen sollen sich die Tesla-Modelle bereits ab 2021 durch das Tunnelsystem bewegen. Tracking Wheels werden sich an an der Tunnel Architektur orientieren – die E-Autos können bis zu 240 Stundenkilometer erreichen, eine Software steuert Bremsen und Beschleunigung.” Tesla- und Boring-Company-Chef Elon Musk hat auf Twitter ein erstes Modell einer Las Vegas Loop Station vorgestellt. 

Sobald der Verkehr über Tunnelsystem abgewickelt wird, “kommt es nur zu einer Verlagerung des Problems”, befürchtet Calas. Als primäre Motivation für den Tunnelbau nennt Elon Musk die Möglichkeit, „mit seinem Auto schneller ans Ziel zu kommen“. Eine solche Vorgabe vergleicht Calas mit “dem verstärkten Ausbau des Autobahnnetzes in den 60iger Jahren, um den Durchzugsverkehr durch Ortschaften in den Griff zu bekommen.” Ein halbes Jahrhundert später gehe es darum die “Auto-Infrastruktur langsam zurück zu fahren und gleichzeitig das Angebot für den öffentlichen Verkehr auszubauen.” Dabei erinnert er an das Paradoxon, dass “sich städtische Bewohner” mittlerweile “regelrecht vor dem Verkehrsaufkommen schützen müssen.” Auf dem Auto zu beharren würde bedeuten eine “rückwärtsgewandte Infrastrukturentwicklung” zu betreiben. Ziel müsse es sein “alternative Fortbewegungsmethoden anzubieten.” 

Dabei setzt Calas auf eine andere Idee von Elon Musk,  auf den Hyperloop: ein Verkehrssystem, bei dem sich Kapseln in einer vakuierten Röhre auf Luftkissen gleitend mit nahezu Schallgeschwindigkeit fortbewegen. Entwickelt wird das Hyperloop-System vom niederländischen Start-up Hardt. “Nach einer zweijährigen Testphase,” so berichtet ingenieur.de,  “ist ein 30 Meter langes Teilstück des Systems fertiggestellt.” Wird Europas erster Hyperloop bis 2025 mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 700 km/h durch die Röhre schießen? “Wie bahnbrechend wäre eine Andockung von Musks Hyperloop an bestehende urbane U-Bahnnetze”, visioniert Calas, “die sukzessive zu europaweiten U-Bahnen ausgebaut werden. Einstieg U2 Schottentor/Wien, Ausstieg U7 Hackescher Markt/Berlin mit einer Fahrtzeit samt Umstieg von 2:10h.” 

Es wird noch lange dauern bis Smart Cities ausreichend viele “alternative Fortbewegungsmethoden” in und zwischen Städten anbieten können. Schließlich darf man nicht vergessen, “dass die Stadt im herkömmlichen Planungscredo sehr rigide und möglichst lösungsorientiert rund um das Auto geplant und umgesetzt wurde”. Aus diesem Grund rechnet Calas mit einem sehr langen Prozess bis eine neue Stadtagenda auch umgesetzt werden wird. Homeoffice scheint daher nur der Anfang einer neuen Arbeitswelt zu sein, die tiefgreifende infrastrukturelle Veränderungen mit sich bringen wird.

 

Erstmals publiziert: Forbes No.7/8-20

Autor: Raoul Sylvester Kirschbichler

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