27 Sep 1959, Washington, DC, USA --- Soviet Premier Nikita Khrushchev makes a point during a press conference at the National Press Club. --- Image by © Bettmann/CORBIS

Putin korrigiert Chruschtschow

Vladimir Putin holt zurück, was Nikita Chruschtschow verschenkt hatte: Die Halbinsel Krim. Für Russlands Schwarzmeerflotte gibt es keine Alternative zum Marinestützpunkt Sewastopol.

Was für Nikita Chruschtschow eine freundschaftliche Geste war, das war in den Augen vieler Sowjetbürger Verrat am Vielvölkerstaat Sowjetunion. Militärstrategen schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, aber niemand wagte es Chruschtschow zu widersprechen, als er die vormals russische Halbinsel Krim der ukrainischen Sowjetrepublik vermachte.

Nikita Sergejewitsch Chruschtschow war am Höhepunkt seiner Macht angekommen – er war 1954 gerade zum Parteichef der gesamtsowjetischen KPdSU aufgestiegen, ein Jahr nach dem Tod Josef Stalins und genau 300 Jahre nach der Unterzeichnung des Vertrages von Perejaslaw (1654), in dem die engen Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine festgeschrieben wurden. Der Grundstein für die Schwarzmeerflotte wurde am 13. Mai 1783 gelegt: Es kam zur Gründung der Hafenstadt Sewastopol als elf Schiffe der Asowschen Flottille in der Achtiarskaja-Bucht vor Anker lagen. Gemeinsam mit 17 Schiffen der Dnjepr-Flottille bildeten sie den Kern der russischen Schwarzmeerflotte.

Und nun entschied Chruschtschow, die Krim der ukrainischen Sowjetrepublik zu schenken. Sein machtpolitisches Kalkül war zu diesem Zeitpunkt nur schwer durchschaubar. Auch für seine engsten Berater. Die meisten sahen darin einen ersten Schritt in Richtung Entstalinisierung – ein schleichender Prozess, über den man 1954 noch lieber schweigt, der zwei Jahre später, am 20. Parteitag der KPdSU, in Chruschtschows Geheimrede gipfelte (25. Februar 1956). Darin verurteilte er erstmals die Repressionen Stalins.

Insgesamt 170 Jahre lang war die Krim in russischer Hand. Ihre Übergabe erfolgte ohne großes Aufsehen: In der westlichen Presse wurde keine Zeile erwähnt und den sowjetischen Medien war es bestenfalls eine kleine Randbemerkung wert, nicht mehr. Dabei galt die Krim immer schon als einzigartiges Juwel, als Erholungsparadies für die reichen Russen – als die „Riviera des Ostens“. Auch wenn in den Folgejahren immer weniger Touristen aus Moskau auf die Krim kamen, ein ernsthafter Versuch der Ukrainisierung hat nie stattgefunden.

Zwar gewann die ukrainische Sprache auf der Krim immer mehr an Bedeutung, doch die symbolischen Veränderungen – wie zum Beispiel ukrainische Straßennamen – konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ukrainische Bildungspolitik einzig und allein auf die russische Kultur und ihre Unterstützung ausgerichtet war. So wie es in Moskau beschlossen wurde.

Aus Chruschtschows Kalkül wurde machtpolitische Realität: Er wollte die gesamte Region, die die Rote Armee während des Krieges nicht bedingungslos unterstützte, stärker an Moskau binden; er schenkte Kiew die Halbinsel Krim, um im Gegenzug die politische Vorherrschaft über ein ganzes Land zu bekommen. Primär sollte die russische Kultur in der Ukraine gestärkt werden. Alles auch in der Absicht, die Dominanz der beiden großen slawisch bevölkerten Republiken im sowjetischen Riesenreich zu festigen – gegenüber den Problemregionen im Süden, zu denen auch die Krim mit ihren Tataren zählte.

Als es 1991 zum Zusammenbruch der Sowjetunion kam, entschieden sich die Ukrainer in einem Referendum mit 90,3 Prozent für die Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Nur wenige Tage später, am 2. Januar 1992, gab der ukrainische Präsident Leonid Krawtschuk bekannt, dass alle Kriegsschiffe, die im Hafen von Sewastopol liegen, in den Besitz der Ukraine übergehen. Noch am selben Tag versammelte Boris Jelzin seine wichtigsten Militär- und Marineexperten im Kreml. Die Zukunft des schlagkräftigsten Marineverbandes stand auf dem Spiel – es ging um rund 380 Kriegsschiffe und Boote.

Sewastopol war zu dieser Zeit auch der Ankerplatz der Admiral Kusnezow, Russlands (mittlerweile) letzter und einziger Flugzeugträger, das größte Schiff seiner Bauart, das nicht in den USA hergestellt wurde: 306 Meter lang mit einer Maschinenleistung von 4 x 50.000 PS. Ein wahrer Gigant mit 2000 Mann Besatzung, Kampfflugzeugen und Helikoptern. Die bordeigene Bewaffnung ist deutlich schlagkräftiger als die vergleichbarer Flugzeugträger.

Boris Jelzin stellte die gesamte Schwarzmeerflotte per Dekret (am 2. April 1992) unter russische Kontrolle. Die Admiral Kusnezov war zu diesem Zeitpunkt bereits in Sicherheit gebracht worden. Um eine Beschlagnahmung durch die Ukraine zu verhindern, wurde der Flugzeugträger in einer Nacht- und Nebel-Aktion aus ukrainischen Gewässern verlegt. Nach einem längeren Werftaufenthalt nahm die Kusnezov erst wieder 1995 an Manövern im Mittelmeer teil.

Zur selben Zeit war die Aufteilung der Schwarzmeerflotte zwischen der Ukraine und Russland bereits abgeschlossen. Man hatte sich geeinigt, einen Teil der Flotte der Ukraine zu überlassen – meist Schiffe, die sowieso kaputt waren. Den größeren Teil der Schwarzmeerflotte bekam Russland, das auch den Marinestützpunkt Sewastopol für 20 Jahre (von 1997 bis 2017) pachtete. Kostenpunkt: 97,75 Millionen US-Dollar pro Jahr. Das bilaterale Abkommen wurde vom damaligen Präsidenten Viktor Juschenko, dem Vorgänger von Viktor Janukowitsch, und Boris Jelzin unterzeichnet. Der mittlerweile entmachtete Viktor Janukowitsch hatte schon vor vier Jahren einer Vertragsverlängerung bis 2043 zugestimmt. Im Gegenzug erhielt die Ukraine einen Preisnachlass von 30 Prozent für russisches Gas.

Dabei ist Russlands Flotte in Sewastopol weder die größte, noch die wichtigste der vier russischen Flotten. Wesentlich bedeutender sind die Nordflotte und die pazifische Flotte, zu ihnen gehören auch die russischen Atom-U-Boote. Allerdings hat die Krim eine für das Schwarzmeer beherrschende strategische Position – die Halbinsel ragt weit ins Meer hinaus, sie ist für Russland die Verbindung ins Mittelmeer und somit auch in den Nahen Osten. Schon zu Sowjetzeiten befand sich hier die Werftindustrie Mykolajiw, die größere Kriegsschiffe wie den Flugzeugträger Admiral Kusnezov warten und reparieren konnte.

Die Russen haben nie akzeptiert, dass Nikita Chruschtschow die Halbinsel 1954 der ukrainischen Sowjetrepublik geschenkt hat. Das wurde damals, als es die Sowjetunion noch gab und niemand an die Möglichkeit ihres Zerfalls dachte, auch wirklich als symbolische Geste verstanden. Nach dem Ende der UdSSR sah das plötzlich aber ganz anders aus, die Krim war jetzt ukrainisch.

Bis Vladimir Putin sie ins russische Reich zurückholte. Genau genommen ist die Schwarzmeerhalbinsel den Russen wie ein reifer Apfel in den Schoß gefallen. Auch durch den Volksentscheid Ende März. Die Mehrheit der Stimmberechtigten sind ethnische Russen. Dass das Völkerrecht von Putin mit Füßen getreten wurde, steht außer Frage.

Während sich der Konflikt um die Ukraine zwischen dem Westen und Russland ganz auf die Ebene von Wirtschaftssanktionen verlagert hat, droht im Ostteil der Ukraine ein Bürgerkrieg mit russischer Beteiligung auszubrechen. Russland hat die Gaspreise für die Ukraine drastisch erhöht. Gazprom droht sogar Milliardenbeträge für bislang gewährte Preisnachlässe zurückzufordern. (Putin ist zu 4,5 Prozent an Gazprom beteiligt).

Auf der Webseite des Kremls war vor wenigen Tagen zu lesen, dass Russland sowohl den Vertrag über die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim, als auch den Vertrag über die Aufteilung der Flotte zwischen Russland und der Ukraine aufkündigen wird. Der Entwurf über die Aufkündigung der Krim-Verträge ist bereits in der Staatsduma eingebracht worden.

Rede des Ersten Sekretärs des CK der KPSS, N. S. Chruščev auf dem XX. Parteitag der KPSS [„Geheimrede“] und der Beschluß des Parteitages „Über den Personenkult und seine Folgen“, 25. Februar 1956

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