Greece --- Greek euro is shot through with bullet, symbolic image for the debt crisis in Greece --- Image by © Christian Ohde/imageBROKER/Corbis

Pest oder Cholera?

In fast allen europäischen Hauptstädten werden Experten zur Finanz- und Schuldenkrise in Griechenland interviewt. Vor allem seitdem Europas Politiker das Schicksal Griechenlands in ihre Hände genommen haben und alles andere als überzeugend damit umgehen. Ihre Unsicherheit ist offensichtlich geworden, die Zukunft Griechenlands und der Eurozone bleibt ungewiss.   

Es fällt auf, dass die Europäische Union noch nie so orientierungslos und so ratlos war. Dabei scheint es auf der Hand zu liegen, dass wir selbst eine geregelte Insolvenz Griechenlands vermeiden müssen, um primär die große Ansteckungsgefahr zu verhindern. Vor allem eine Insolvenz mit einer Rückkehr zur  alten griechischen Landeswährung. Ein solcher Schritt schürt nur die Angst der Menschen in anderen schwachen Volkswirtschaften vor einem Währungswechsel. Sie würden ihr Euro-Guthaben so schnell wie möglich abheben und somit den Banken den Boden unter den Füßen wegziehen. Sofern Griechenland weiter Euro-Land bleibt, könnte ein Staatsbankrott den Euro gefährden. In welchem Ausmaß? Das lässt  Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble gerade prüfen.

Soweit so schlecht. Denn irgendwie scheint es, dass die Unionseuropäer nur die Wahl zwischen Cholera oder Pest haben: Wir müssen versuchen zu retten, was eigentlich nicht mehr zu retten ist, koste es, was es wolle. Dabei erhält Griechenland Vorgaben, die politisch nicht umsetzbar sind, wie wir mittlerweile wissen. Sparmaßnahmen, die die Massen auf die Straßen rufen, die aber gleichzeitig die griechische Volkswirtschaft lähmen: ein nahezu lebloser Körper, der künstlich am Leben gehalten wird, während man aber gezwungen wird die Herz-Lungen-Maschine abzuhängen, weil sie zu kostspielig ist. Auf den diversen EU-Krisen-Gipfeln wurden wirtschaftliche Wunschszenarien für Griechenland debattiert und verabschiedet, die Frage der politischen Umsetzbarkeit hat den Sitzungssaal nie wirklich erreicht.

Doch es geht nicht nur um Griechenland. Die sogenannten Märkte sind in einer Krise. Sie sind launisch und unkalkulierbar geworden, sensibel und instabil, als hätten sie sich eine Immunschwächekrankheit eingehandelt. Die Stimmung am Arbeitsmarkt ist ängstlich bis abwartend, weil die Weltwirtschaft nicht wirklich anspringt. Dabei blickt Europa hoffnungsvoll und vorwurfsvoll in die USA und die Vereinigten Staaten gleichermaßen nach Europa. Auf beiden Seiten des Atlantiks wird klar, dass das Leben – von Generation zu Generation – nicht kontinuierlich besser und seine Chancen nicht kontinuierlich größer werden müssen.

Der Kapitalismus scheint an eine Grenze gestoßen zu sein, die er nur durchbrechen kann, wenn alte Schuldenberge abgebaut werden, und neue nur unter strengsten Auflagen entstehen dürfen. Der Ruf nach einer Schuldenbremse im Verfassungsrang wird immer lauter; der Europapolitiker denkt auch über das übergeordnete EU-Wirtschaftsministerium nach, das als Regulativ für die einzelnen Volkswirtschaften zu verstehen ist. Nationale Wirtschaftskompetenzen würden dann nach Brüssel abgegeben werden. Ob das dem Willen der EU-Bürger entspricht, ist sehr fraglich. Einer verstärkten politischen Integration in Form einer gemeinsamen europäischen Verfassung wurde 2005 eine klare Absage erteilt.

Also: Braucht Europa wirklich mehr Brüssel, um aus dem europäischen Finanz- und Schuldendilemma herauszukommen? Vielleicht war „nur“ das Tempo der gesamten europäischen Integration von Anfang an zu hoch? Zunächst die Erweiterung, vorangetrieben auch durch die schnellen politischen Umbrüche des 89-iger Jahres.  Dann die wirtschaftspolitischen Überlegungen, die primär Barrieren unter den Mitgliedsländern so schnell wie nur möglich abzubauen versuchten und letztendlich in einer Währungsunion gipfelten.  Unter dem Strich sollten stabile Wirtschaften herauskommmen. Das war auch der Fall in den Jahren 1991 bis 2008.

Oder waren die Begleitmaßnahmen zur Währungsunion unzureichend? Sobald es ein einheitliches währungspolitisches Bekenntnis gibt, das fast einen ganzen Kontinent umspannt, wie viel Freiraum dürfen die einzelnen Volkswirtschaften haben ohne (im schlimmsten Fall) die Währungsunion zu gefährden? Der Stabilitätspakt, die festgeschriebene Obergrenze der nationalen Neuverschuldung (3 % der nationalen Wirtschaftsleistung) war immer nur ein Richtwert, der, je nach Weltwirtschaftslage, auch überschritten werden durfte, in den Jahren der Finanzkrise – man hatte den Eindruck – sogar überschritten werden musste. Deswegen besitzen die Konzepte mehr und mehr Fußnoten und Ausnahmeregelungen, um – so wird nun einmal argumentiert – schnell und flexibel reagieren zu können.

Doch gerade Europas Schuldenkrise hat alle herkömmlichen Konzepte für untauglich erklärt. Lösungsansätze hinken den Entwicklungen hinterher, die Politik kann derzeit nur reagieren. Wir leben zwischen  der Angst vor einer neuerlichen Rezession und der Hoffnung auf einen tatsächlichen Wirtschaftsaufschwung. Sicher ist der Beginn einer Ära, die keinen wachsenden Wohlstand mehr garantieren kann, weil sich Europas Wirtschaft neuen Herausforderungen und großen Risiken gegenübersieht.

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