Hofburg, Wien © Raoul Kirschbichler

Österreich: Hofer oder Van der Bellen ?

Diese Präsidentenwahl spaltet das Land. Trotzdem wünschen wir uns mehr direkte Demokratie. Warum eigentlich?

Österreichische Staatsbürger sind leidgeprüft, trotzdem unbeirrt und verständnisvoll, wenn der Klebstoff auf den Wahlkarten nicht das hält, was er versprechen sollte und die Hofburg-Wahl in die Vorweihnachtszeit verschoben werden muss. Oder, wenn es Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung gibt, die eine Entscheidung des hohen Verfassungsgerichtshofes notwendig macht, die Spitzenkandidaten und Wähler zurück an den Start schickt. Auch die spöttischen Analysen, die Auslandskorrespondenten verständlicherweise mit spitzer Feder zu Papier brachten, haben wir staatsbürgerhaft ertragen. Sarkastische und zynische Formulierungen haben wir gekonnt überlesen, bösartige Kommentare schlichtweg zur Kenntnis genommen und in bewährter Form mit einem gezwungenen Lächeln verdrängt. 

Schließlich stehen wir über der Wahl und seinen Peinlichkeiten, über den niveaulosen kaum staatsmännischen Debatten ohne Diskussionsleitung. Trotzdem wählen wir pflichtbewusst den Mann, der die nächsten Jahre an der Spitze unseres Staates stehen soll. Und wir wählen ihn direkt und geheim, wir benötigen weder Gottes Segen, noch internationale Wahlbeobachter oder die Hilfe unserer Volksvertreter. 

Das klingt selbstständig und souverän. Immer unter der Voraussetzung, dass am 4. Dezember 2016 tatsächlich gewählt wird und uns ein unanfechtbares Ergebnis zur Adventszeit beschert wird. Denn noch einmal wählen wir nicht, wollen bzw. können wir auch nicht mehr wählen – das wäre zu viel der gut gemeinten direkten Demokratie. Unser Demokratieverständnis unterliegt schon jetzt einem unerwarteten Konditionstraining. Sicher ist nur: Auch wir Österreicher werden irgendwann unseren Bundespräsidenten wählen – es ist doch alles nur eine Frage der Zeit. 

Wir leben derzeit die direkte Demokratie, so wie wir sie oft eingefordert haben, in ihrer langwierigsten Form; sie ist ermüdend, die Wahlkämpfe lähmend und die verbliebenen Kandidaten haben Nichts(sagendes) von sich geben, das wir schon viel zu oft gehört haben. Pflichtbewusst lauschen wir immer noch, um Klarheit zu bekommen in welchen Kreis wir unser Kreuz eintragen sollen. Viele werden beide Kandidaten ankreuzen, um als registrierte (ungültige) Proteststimme in die Geschichte der Republik einzugehen. Das sind die kurzatmigen direkten Demokraten, denen alles schon vor einem halben Jahr zu viel wurde. Sie unterscheiden sich kaum noch von den Nichtwählern, die sich nur noch bestraft und gepeinigt vorkommen von den endlosen Debatten und Positionierungen zu allen möglichen Themen, die mit den Aufgaben des österreichischen Bundespräsidenten rein gar nichts mehr zu tun haben. Selbstverständlich: Er, der Bundespräsident, kann wenn er wollte und wir werden uns noch wundern, was alles möglich ist, bzw. möglich sein könnte, wenn der eine oder andere wirklich möchte, falls doch irgendwann ein gültiges Wahlergebnis vorliegt.  

Bewundernswert ist nur die Ausdauer der beiden Spitzenkandidaten, die inhaltliche Auseinandersetzung war bis zum heutigen Tag entbehrlich, trotzdem notwendig, um sich ein Bild machen zu können, wer die nächsten Jahre in der Hofburg ein- und ausgehen wird. 

Ob der Herr Ingenieur oder der Herr Professor künftig hinter der weinroten Tapetentür verschwinden wird, ist eine Frage, die die Republik spaltet und von ihren Bürgern Durchhaltevermögen und Demokratieverständnis in unvorhergesehenem Ausmaß verlangt. Dabei hat uns die politische Erfahrung gelehrt, dass wir gar nicht auf die ersehnte Veränderung für Land und Leute hoffen dürfen, denn im Koalitionsgeplänkel heißt der kleinste gemeinsame Nenner allzu oft politischer Stillstand. 

Wir platzieren unser „X“ im Wahllokal aus demokratischem Pflichtbewusstsein heraus, um noch Schlimmeres – dazu zählt auch ein nochmaliger Urnengang – zu verhindern? Aus dem Zweikampf wurde längst eine Verhinderungswahl, es geht primär gegen den anderen, das Lagerdenken ist aufgebrochen seitdem die politische Mitte weggebrochen ist. Das hat unser Land auch dem Reformstillstand zu verdanken mitsamt seiner destruktiven rot-schwarzen Blockadepolitik. Egal, wir leben, erleben und durchleben direkte Demokratie in hoffentlich endlicher Form: Mit ein bisschen Glück schon in der ersten Dezemberwoche.

Solche direkten Wahlen sind nicht allen Bürgern Mitteleuropas vergönnt. Bei unseren deutschen Nachbarn sind es die gewählten Volksvertreter, die, nachdem die Regierungsspitze sich geeinigt und entschieden hatte, im Bundestag ihre Stimme abgeben. 

Erst seit dem österreichischen Bundespräsidentenwahldesaster wissen auch die deutschen Wähler, was ihnen so alles erspart bleibt. Einzig das Klebstoffdilemma könnte sie zur deutschen Bundestagswahl einholen, weil der Diskurs rund um die Klebrigkeit deutsche Wurzeln hatte. Der schlechte Klebstoff kommt aus Deutschland, hatte das österreichische Innenministerium mit einer gewissen Genugtuung verkündet, als die Last der Peinlichkeit erdrückend wurde. 

Trotzdem haben auch unsere Nachbarn eine präsidiale Debatte. Weniger dreht sie sich um die Person Frank-Walter Steinmeier, den derzeitigen Außenminister, redegewandt mit bedachter, eben diplomatischer Ausdrucksweise und großem diplomatischen Fingerspitzengefühl, der künftig im Schloss Bellevue residieren wird; nein es geht in erster Linie um die angebliche Blamage der Kanzlerin, die keinen christdemokratischen Kandidaten ins Rennen schicken konnte oder wollte. Vielleicht weil sie von ihrem Außenminister tatsächlich überzeugt ist? Ihre Macht beginnt zu bröckeln, ihr Durchsetzungsvermögen schwindet, war der allgemeine, fast schon einhellige Tenor der Kommentatoren, als sie sich gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner auf einen sozialdemokratischen Bundespräsidenten, auf den erfahrenen Frank-Walter S. einigte. 

Überparteiliche Einigungen scheinen im grellen, kritischen Licht der Tagespresse genauso wenig erwünscht zu sein, wie einander blockierende Koalitionspartner oder die beiden österreichische Präsidentschaftskandidaten, die eben nicht mehr aus der politischen Mitte kommen, weil sich dort seit Jahren nur noch Reformstau und politischer Stillstand breit gemacht haben. Das, worüber sich die lautstarken Querulanten, die besonnenen Analytiker und erfahrenen Kommentatoren, sie alle unterscheiden sich oft nur lapidar voneinander, heutzutage wundern, haben sie mit größter Wahrscheinlich selbst ausgelöst, zumindest aber mitzuverantworten: Eine politische Entwicklung, die sich nicht mehr mit den Schablonen der Vergangenheit nachziehen lässt. 

Das ist gut und spannend zugleich. 

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