Myanmars neuer Präsident, Thein Sein, 66, steuert entschlossen in eine demokratische Richtung. Selbst die grösste Oppositionspartei anerkennt nun seinen Reformkurs und möchte bei den nächsten Wahlen kandidieren. Wie stehen die Chancen für die Nationale Liga für Demokratie unter der Führung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi?
US-Aussenministerin Hillary Clinton wird in den nächsten Wochen in Yangon erwartet, 2014 soll Myanmar den Vorsitz der ASEAN-Gemeinschaft (Association of South East Asian Nations) übernehmen. „Hoffnung“ wird in Myanmar erstmals wirklich groß geschrieben. Noch vor genau einem Jahr war sich Myanmars größte Oppositionspartei, die Nationale Liga für Demokratie (NLD), sicher, dass es die richtige Entscheidung war an den Wahlen im November nicht teilzunehmen. Damals war der Dominoeffekt dieser Wahlen nicht vorhersehbar. Niemand glaubte daran, dass daraus ein echter politischer Reformprozess erwachsen könnte. Auch nicht Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Denn die neue politische Klasse waren alte Generäle in Zivilkleidung. Unter ihnen auch der neue Präsident: Thein Sein (66). Seines Zeichens Leutnant-General und ehemaliger Premierminister (2007). Damals noch von Oberbefehlshaber Senior General Than Shwe ernannt.
Doch bereits wenige Wochen nach den Wahlen im November 2010 telefonierte ich mit der Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Ihre Antworten klangen monoton und einstudiert. Sie versteifte sich darauf, dass die Wahlen weder fair noch frei waren. Doch erstmals war auch herauszuhören, dass es nicht alleine ihre Entscheidung war, nicht an den Wahlen teilzunehmen. Es war eine Mehrheitsentscheidung der Partei, die Aung San Suu Kyi vermutlich bis heute bedauert. Denn der freigewählte Beobachterstatus kann für die Oppositionsführerin nicht befriedigend sein. Dabei war ihre Kritik an den Wahlen berechtigt, die getroffene Mehrheitsentscheidung der NLD aber nicht wirklich vorausblickend.
Wer in einem Land, das fast ein halbes Jahrhundert lang von einer kompromisslosen Militärjunta diktiert wurde, politische Verantwortung übernehmen möchte, muss einfach jede Chance wahrnehmen. Wählerisch darf man nicht sein. Auch dann nicht, wenn das Wahlsystem nicht den eigenen demokratischen Vorstellungen entspricht. Das sind politische bzw. demokratische Eitelkeiten, die in keinster Weise den politischen Stillstand aufbrechen können. Zu diesem Zeitpunkt auch den Menschen nicht weiterhelfen.
Nun haben ehemalige hohe Militärs die Rolle der Reformer übernommen. Dass sie noch vor wenigen Monaten bei Militärparaden stramm in Uniform salutierten darf uns heute nicht stören. Denn in Myanmar gibt es keine Institution, die nicht in der Hand des Militärs ist. Seit dem unblutigen Putsch von General Ne Win im Jahr 1962 hat die Armee Schritt für Schritt alle Bereiche des öffentlichen Lebens und alle Institutionen übernommen. Die regimekritischen Kräfte wurden gekonnt isoliert oder brutal ausgelöscht. Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi verbrachte fast 15 der letzten 20 Jahre unter Hausarrest. Sie war und bleibt die moralische Galionsfigur, die aber erst beweisen muss, dass sie politische Verantwortung tatsächlich übernehmen kann.
Primär geht es im heutigen Myanmar um Reformen, die den Menschen so schnell wie nur möglich aus der Armut helfen. Präsident Thein Sein hat in einem ersten Schritt sofort einmal die Pensionen erhöht. Trotzdem sind die meisten Pensionisten immer noch auf die Hilfe ihrer Kinder bzw. Familien angewiesen um irgendwie überleben zu können. Aber die Pensionserhöhung war vorallem ein erstes, sehr wichtiges Signal, das den Menschen auch ein wenig Hoffnug gibt. Bedenken wir, dass es in den letzten fünf Jahrzehnten – unter Senior General Than Shwe – kaum eine Entscheidung gab, die das Leben der Menschen erleichtert oder verbessert hat. Ganz im Gegenteil.
So war „Hoffnung“ auch immer ein wichtiges Attribut der Opposition: Aung San Suu Kyis Reden, die sie in den 90-iger Jahren vor ihrem Haus in der Universitätsstrasse gehalten hatte, waren von beissendem Zynismus gegen die Machthaber durchsetzt, haben den Menschen aber Hoffnung auf eine bessere Zukunft gegeben. Und genau deswegen hatte sie jeden Samstag Nachmittag auch tausende Zuhörer. Bis das sogenannte Versammlungs-Verbot erlassen wurde.
Nun ist es ein Leutnant-General, der beginnt das System hoffnungsvoll zu reformieren. Dabei liegen die grossen Herausforderungen noch vor ihm: die Gesundheitsreform und die Infrastruktur. Beides wird sich nur schrittweise verbessern lassen, weil Myanmar kein Geld hat. Das liegt grösstenteils auf den Privatkonten von General Than Shwe. Zudem ist es auch extrem kostspielig Strassen zu bauen, die mehrere Monsun-Regenzeiten überstehen. Denn Myanmar ist doppelt so groß wie das geeinte Deutschland. Gleichzeitig müsste auch das gesamte Schienennetz verbessert, wahrscheinlich sogar von Grund auf neu gebaut werden. Und eine Reform des Gesundheitssystems macht erst dann Sinn, wenn auch sichergestellt ist, dass sich die Menschen einen ganz normalen Arztbesuch wirklich leisten können.
Die Themen liegen auf der Hand. Der Reformstau ist gewaltig. Die neue politische Klasse, angeführt von Präsident Thein Sein, muss sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Das hat auch die Opposition in den letzten Jahren immer und immer wieder eingemahnt. Eine demokratische Ausrichtung des Systems ist wünschenswert, aber nur aus politischer Sicht vorrangig. Nun muss es endlich einmal um die Menschen in diesem Land gehen. Wenn Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi für sie in den nächsten Wahlkampf zieht, dann ist die heutige Entscheidung der Nationalen Liga für Demokratie, an den nächsten Wahlen teilzunehmen, ein ganz wichtiger Schritt für Myanmar. Und zwar deshalb, weil er den Menschen endlich auch die Hoffnung gibt, dass die Diktatur der Militärjunta bald wirklich der Vergangenheit angehört.