Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi gewinnt die Wahlen in Myanmar. Obwohl nur 45 von insgesamt 1160 Parlamentssitzen zur Wahl standen, ist der Sieg der Nationalen Liga für Demokratie von großer Bedeutung. Eine persönliche Analyse:
Es gibt Eitelkeiten, die man sich abgewöhnt, wenn man älter wird. Dazu zählt auch ganz genau darzulegen, wann und wo ich Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi (66) in den letzten 18 Jahren in Myanmar getroffen habe. Dabei ist es sehr leicht nachvollziehbar, denn so oft war die Friedensnobelpreisträgerin in den letzten zwanzig Jahren nicht auf freiem Fuß. Sie war die meiste Zeit inhaftiert oder stand unter Hausarrest. Nur ein abenteuerlustiger Amerikaner, der schwimmend den Inya Lake in Yangon durchquerte, hat es in dieser Zeit bis zu ihrem Haus geschafft. Die Junta hat diesen Vorfall zum Anlass genommen, den Hausarrest von Aung San Suu Kyi erneut zu verlängern.
Während also die eine Seite des Grundstücks von Aung San Su Kyi an den Inya Lake grenzt, liegt die andere Seite an der Universitätsstrasse. Von ihrem Eingangstor waren es knapp zwanzig Minuten Fußmarsch bis zu meinem kleinen Haus im Stadtteil Bahan, das ich in den 90-iger Jahren bewohnte. Irgendwann im Frühjahr 1995 bin ich dann Aung San Suu Kyi erstmals persönlich begegnet. Es war die Zeit, als sie jeden Samstag Nachmittag, die Massen vor ihrem Haus unterhalten hat. In ihren Reden ist sie verbal über die Militärjunta hergefallen. Es war erfrischend ihr zuzuhören und die Begeisterung ihrer Zuhörer mitzuerleben. Sie wirkte schlagfertig, belesen und redegewandt. Ihr geistreicher Zynismus hat die Menschen gefesselt und zum Lachen gebracht. So strömten auch mehr und mehr Menschen jeden Samstag Nachmittag zu ihrer Grundstückseinfahrt. Bis die Junta wieder alles im Keim erstickte: Menschenansammlungen wurden verboten.
Als mir Aung San Suu Kyi im Frühjahr ´95 erstmals gegenübersaß, wirkte sie steif. Es war im Erdgeschoss ihres Hauses, dort wo sie oft und gerne Journalisten empfangen hat. Auch deshalb, weil an den Wänden gerahmte, bereits leicht vergilbte Fotos ihres Vaters hängen: General Aung San hatte Burma 1948 in die Unabhängigkeit geführt. Seine Tochter, Aung San Suu Kyi, hatte auf einer kleinen Bank Platz genommen, mit dem Rücken zum Fenster. Sie sitzt kerzengerade, wirkt extrem diszipliniert manchmal sogar ein wenig unbeholfen. Sehr steif. Ihre Antworten sind monoton. Ihre Angst, irgendetwas Falsches zu sagen, war unübersehbar und unüberhörbar. Sie erfüllte den ganzen Raum.
Natürlich spricht sie fließend Englisch. Und vermutlich denkt und träumt sie auch in Englisch. Doch ihre Schlagfertigkeit und ihr Humor leben einzig und allein dann auf, wenn sie burmesisch spricht bzw. Burmesisch sprechen darf. Sobald sie der Presse in Englisch antwortet, versteckt sie sich ein wenig hinter Phrasen und Stehsätzen, hinter diplomatischen Formulierungen, die sie unantastbar machen sollen. Vergessen wir nicht: Aung San Suu Kyi hat den professionellen Umgang mit Medien nie wirklich gelernt. Oftmals schien es mir, als hätte sie Angst, dass ihre Antworten irgendwann auch gegen sie verwendet werden könnten. Diese Angst begleitet sie auch heute noch. Deswegen ist sie auch für jede Frage dankbar, die nicht nur an ihren politischen Verstand gerichtet ist. Sie wirkt erleichtert, sobald sie kurz einmal über ihren Alltag plaudern darf. Vielleicht sogar über die unzähligen Jahre, die sie unter Hausarrest stand.
Sie ist nicht „nur“ ´Myanmars Friedensnobelpreisträgerin´ oder die ´Ikone der burmesischen Demokratiebewegung´. Selbst wenn die Medien sie gerne so sehen und gerne so darstellen möchten. Auch ich habe diese Attribute immer und immer wieder verwendet. Daw Aung San Suu Kyi ist ein Mensch, der mehr durchleben musste, als wir uns vorstellen möchten. Sie ist ihrem Schicksal genauso begegnet, wie sie den Journalisten im Erdgeschoss ihres Hauses begegnet: Mit eiserner Disziplin. In all ihren Jahren, die sie unter Hausarrest stand, war ihr Tagesablauf sehr genau durchgeplant. Das Gebet und die Meditation haben ihr geholfen, nicht nur die physische, sondern auch die geistige Isolation durchzustehen.
Ob sie sich in dieser Zeit von den Menschen entfernt hat, ist eine Frage, die ich bis heute nicht wirklich beantworten kann. Ich denke, dass Aung San Suu Kyi die Probleme Ihres Landes kennt. Sie sind genauso so groß wie die Sehnsucht der Burmesen nach einer neuen politischen Ordnung. Beides hat sie am letzten Sonntag zum erwarteten Wahlsieg geführt, der aber die derzeitige politische Landschaft in Myanmar nicht großartig verändert. Es waren Nachwahlen, bei denen lediglich 45 Parlamentssitze vergeben wurden. 40 Sitze hat die Nationale Liga für Demokratie unter Aung San Suu Kyi gewonnen. Die große Mehrheit der insgesamt 1160 Parlamentssitze ist immer noch fest in der Hand der Junta
Der Wahlsieg hat aber großen symbolischen Wert und gibt der Nationalen Liga für Demokratie unter Aung San Suu Kyi die Möglichkeit, sich langsam auf größere Aufgaben und Herausforderungen einzustellen. Echte politische Verantwortung hat die „Lady“, wie Aung San Suu Kyi in Myanmar gerne genannt wird, noch nie übernommen. Die Erwartungshaltung der Menschen ist viel größer als die politische Erfahrung der Friedensnobelpreisträgerin. Sofern ich diese Tatsache in meinen Fragen durchklingen ließ, hat sie oft verärgert, fast schon beleidigt reagiert. So auch bei unserem Telefonat im letzten Jahr: Sie hatte einfach vorgegeben, die eine oder andere unangenehme politische Frage nicht wirklich verstanden zu haben. Interviews mit der BBC waren für Aung San Suu Kyi immer angenehmer. Kein BBC-Journalist hat es je gewagt irgendetwas zu hinterfragen bzw. irgendetwas infrage zu stellen, das die Nationale Liga für Demokratie oder die Oppositionsführerin betrifft. Von der BBC kommen nur offene Fragen mit der Bitte um eine informative Antwort.
Es gibt noch viel zu tun und viel zu lernen. Myanmar hat 50 Jahre Militärdiktatur hinter sich gebracht. Alle Institutionen des Landes sind nach wie vor in der Hand des Militärs. Die Diktatur ist kein unsichtbares Gespenst, sie ist noch sehr präsent. Die Generäle haben die Uniform nur gegen den burmesischen Wickelrock eingetauscht. Ihr Bekenntnis zu politischen Reformen ist glaubwürdig und der Wahlsieg der Nationalen Liga für Demokratie unter Aung San Suu Kyi ist politische Realität. Aber in den Köpfen der Burmesen kämpfen Hoffnung und Freude gemeinsam gegen Erinnerung und Skepsis. Immer noch.