Nach dem politischen Umbruch wartet Myanmar vergeblich auf den großen Wirtschaftsaufschwung. Waren die Prognosen zu optimistisch oder gibt es andere Gründe?
Mehrere Dutzend Burmesen waren an diesem Eröffnungstag erschienen. Viele von ihnen kamen im Loungyi, im burmesischen Wickelrock, dazu trugen sie ein frisch gebügeltes Arrow-Hemd. Ihre Herrenhandtaschen – zumeist aus Kunstleder – waren prall gefüllt mit dicken Geldbündel. Die Hoffnung, hier schnell ein paar tausend Kyat zu verdienen, stand vielen ins Gesicht geschrieben.
Doch niemand wagte es zu investieren. Vielleicht auch deshalb, weil sich keiner wirklich auskannte. So wurden aus potenziellen Händlern kurzerhand Schaulustige, die im großen Handelsraum der Börse auf die Zahlen der elektronischen Anzeigetafel starren, ohne zu wissen, was hier genau abläuft. Viele wollten schnell einmal das magere Einkommen ein wenig aufbessern, zu lange warten sie schon auf die Chance, ihren kleinen Wohlstand ein bisschen zu vergrößern. Nur wie?
Asiens jüngste Börse, der Yangon Stock Exchange (YSX), hat seine hohen Tore geöffnet, im ehemaligen Bankenviertel, genau in jenem Gebäude, wo die indische Notenbank ihren Sitz hatte, als Burma noch eine britische Kolonie war. Neben dem mächtigen, frisch gestrichenen Stiegenaufgang wurde am Vortag noch schnell ein Schild angebracht, das alle Besucher daran erinnern soll, dass in den ehrwürdigen Hallen kein rot-brauner Betelnusssaft ausgespuckt werden darf.
Die Börse ist und bleibt ein Mahnmal der freien Wirtschaft. Auch wenn an diesem Eröffnungstag nur ein einziges Unternehmen auf der Anzeigetafel auftauchte: FMI – First Myanmar Investment Co., Ltd., dessen Tochtergesellschaft, die Yoma Holding, mit durchschnittlichem Erfolg bereits in Singapur und Deutschland gehandelt wird. Schlecht informierte Börsenbesucher waren dementsprechend enttäuscht, auch wenn sie es sich nicht anmerken ließen, aber irgendwie hatten sie sich mehr erwartet, – ein größeres Spektakel. Trotzdem: Der Grundtenor ist und bleibt positiv, die meisten Besucher blicken erwartungsvoll in die Zukunft. Nach 50 Jahren Misswirtschaft diktiert von einer kompromisslosen Militärjunta, kann es nur besser werden – darin sind sich alle Experten einig.
Myanmar steht, wenn wir den Prognosen der Weltbank glauben möchten, vor einem gigantischen Wirtschaftsaufschwung. Mindestens 9 Prozent Wirtschaftswachstum werden für die kommenden Jahre vorhergesagt, das Bruttoinlandsprodukt soll sich bis 2030 verdreifachen. Alleine im letzten Jahr hat das Ausland knapp 10 Mrd. Dollar hier investiert, obwohl ungefähr die doppelte Summe erwartet wurde. Coca-Cola und Samsung, Hyundai und Kia drängten schon vor drei Jahren auf den burmesischen Markt. Der amerikanische Flugzeughersteller „GE Capital Aviation Service“ verhandelt seither mit Myanmar Airways über den Ankauf moderner Düsenjets und der thailändische Biergigant Singha möchte im Norden des Landes eine gigantische Brauerei eröffnen.
Eingeleitet wurde der Wirtschaftsboom von einem politischen Umbruch. Bei den ersten freien Wahlen, nach einem halben Jahrhundert Militärvorherrschaft, feierte Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi einen einzigartigen Sieg. Obwohl nur 75 % der Parlamentssitze zur Wahl standen, erhielt die Nationale Liga für Demokratie mit fast zwei Dritteln der Stimmen die absolute Mehrheit (des 657 Sitze umfassenden Unter- und Oberhauses). Ein Viertel, also die restlichen Parlamentssitze, blieben in den Händen des Militärs, so ist es von den Generälen in der Verfassung verankert worden, noch bevor sie den Weg Richtung Demokratisierung freigegeben haben. Auch drei Ministerien werden immer noch vom Militär kontrolliert: Das Ministerium für Inneres, jenes für auswärtige Angelegenheiten und das Ministerium zur Grenzsicherung. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass alle Institutionen von Beamten durchsetzt sind, die nur die Uniform gegen den Longyi eingetauscht haben, sich zwar offenherzig der Demokratiebewegung angeschlossen haben, aber in alter Manier ihre Korruptionsspiele weitertreiben.
Insgesamt 17 ausländische Banken warten auf eine Konzession, um sich in Yangon niederlassen zu können. Internationale Hotelketten drängen darauf, mehr und mehr in Myanmar zu investieren. Der Tourismus boomt – seit 2011 (400.000 Touristen) hat sich Zahl der Besucher verdoppelt. Das Angebot kann in keiner Weise mit der Nachfrage mithalten.
In erster Linie fehlt es aber an Gesetzen und Richtlinien für ausländische Investoren. Wer investieren möchte, muss einen bürokratischen Marathon auf sich nehmen und die richtigen Beamten mit gut gefüllten Kuverts versorgen. Neue eindeutige Grundregeln für Investoren würden der Korruptionsgemeinschaft sehr hart zusetzen. Bis heute gilt: Wer mehr zahlt, bekommt „früher“ seine Lizenz. Dieses ungeschriebene Gesetz ist nicht nur auf maßlose Geldgier zurückzuführen.
Für unzählige Beamte sind die Schmiergelder überlebensnotwendig, weil die Lebenshaltungskosten mitsamt der Inflation viel schneller in die Höhe schießen als ihr Gehalt. Sie haben kein großes Interesse ein System zu verändern, das ihren Lebensunterhalt garantiert.
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Post Scriptum: Das FMI-Papier, das am Eröffnungstag der Börse rund 30.000 Kyat (umgerechnet 22 Euro) kostete, ist in den ersten von drei Tagen auf einen Wert von 40.000 Kyat (29 Euro) angestiegen.