Unsere Gedanken steuern das Smartphone. Der Querschnittsgelähmte erhebt sich aus seinem Rollstuhl. Unser Gehirn steht in direkter Verbindung mit dem Internet. Brauchen und wollen wir künftig eine Gehirn-Computer-Schnittstelle? Die Folgen sind kaum abzuschätzen, die Risiken nahezu unbekannt.
Die Rhesusaffendame heißt „Aurora“. Diesen Namen gab ihr das Forscherteam rund um den brasilianischen Arzt und Neurowissenschafter Miguel Niclolelis. Aurora wurden sogenannte Messfühler mit insgesamt 320 winzigen Elektroden in die Großhirnrinde implantiert. Diese Elektroden messen die Spannungsunterschiede, die durch die Aktivität von Nervenzellen entstehen.
Nach diesem Eingriff lernte Aurora einen Roboterarm mithilfe eines Joysticks zu bewegen und zu steuern. Nach einiger Zeit reagierte der Roboter allerdings nicht mehr auf die Joystickbefehle, sondern auf die von einem Computerprogramm aufbereiteten Signale aus dem Affenhirn. Aurora bemerkte das, legte den Joystick zur Seite und lenkte den ihren mechanischen Arm nur noch mit ihren Gedanken, als würde dieser auch zu ihr gehören. Fast zwei Jahrzehnte liegt dieses Experiment mittlerweile zurück. Es war bahnbrechend.
Grundsätzlich gilt: je mehr Elektroden, desto mehr Neuronenaktivität und desto leichter lassen sich schwierige Aufgaben lösen. Für die Steuerung eines Ganzkörper-Exoskeletts benötigen wir rund 50.000 Elektroden. Doch das primäre Problem solcher Eingriffe sind die möglichen OP-Risiken: Gehirnblutungen oder Infektionen lassen sich nie ausschließen. Das permanente Loch im Schädel, durch das ein Kabel die Daten aus dem Chip im Gehirn nach außen leitet, kann zudem weitere Komplikationen hervorrufen. (Noch) nicht abzuschätzen sind mögliche Folgen für die Komplexität unseres Gehirns. Schließlich kommunizieren darin ungefähr 100 Milliarden Nervenzellen über geschätzte 100 Billionen Synapsen miteinander.
… in die Cloud
Die Elektroden, die im Gehirn eingepflanzt werden, sind mit einem implantierten Chip verbunden. Für die Implantation hat Neuralink, ein amerikanisches Neurotechnologie-Unternehmen in Kalifornien, einen eigenen Roboterarm entwickelt.
Nur er kann die dünnen und extrem feinen Elektroden – sie sind viel feiner als ein Menschenhaar – unterhalb der Schädeldecke verlegen, ohne dabei Blutgefäße zu verletzen. Für die Zukunft prognostiziert Elon Musk, der Gründer von Neuralink, „dass sich sogar gesunde Menschen den Neuralink-Chip implantieren lassen werden“, schließlich gehe es langfristig darum, mit der Entwicklung der künstlichen Intelligenz mitzuhalten. Nur durch den Chipmenschen der Zukunft, so seine Schlussfolgerung, werde das Überleben der menschlichen Zivilisation sichergestellt.
Vorrangiges Ziel ist, dass eine Computer-Hirn-Schnittstelle ohne Verkabelung auskommt. Das Konzept dahinter, es könnte in geschätzten 25 Jahren Wirklichkeit werden, haben Nuno Martins und sein Team von der University of California Berkeley präsentiert: Speziell entwickelte Nanoroboter sollen im Gehirn als Empfänger und Sender eingesetzt werden. Dabei soll es sich künftig um einen Routineeingriff handeln, ähnlich wie das Augenlasern.
Durch den drahtlosen Chip werden wir die Möglichkeit haben, eigene Ideen ins Netz zu stellen bzw. Informationen aus dem Netz abzurufen. Die direkte Verbindung zwischen Chiphirn und Cloud macht das Netz – dank unserer Gedankenkraft – zur Spielwiese, zum Speicherplatz und zur neuen Refelexionsebene unserer Gedankenprozesse. Gleichzeitig hat die Gehirnchip-Generation auch einen direkten Zugang zum gesamten Wissen, das in der Cloud gespeichert ist: Unser individuelles Wissen würde sich um einige Dimensionen erweitern, die Lernfähigkeit verbessern und unser durchschnittlicher IQ deutlich höher liegen. Unser Leben, so wie es sich organisiert und woran es sich orientiert, würde – aus heutiger Sicht – gänzlich auf den Kopf gestellt werden.
Sofern die im Gehirn sitzenden Nanoroboter Daten aus der Cloud direkt in Hirnsignale übersetzen, könnten sie auch völlig neue Formen der virtuellen Realität erzeugen. „Solche von neuralen Nanorobotern erzeugten künstlichen Signale wären von echten Sinnesreizen nicht mehr unterscheidbar“, erklärt Nuno Martins. Auch die Einblendung von Zusatzinformationen wie bei Augmented2-Reality – Apps wäre denkbar.
… Gedanken austauschen
Cloudbasierte Schnittstellen schaffen neue Kommunikationsmöglichkeiten. Gehirn-zu-Gehirn-Verbindungen ermöglichen dann sogar einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch. Der Chipmensch bestimmt selbst, wer sich wann und wie lange bei ihm einlinken darf, wer also eingeladen wird bzw. „draußen“ bleiben muss.
Der eingeladene „Gast“ hätte dann für einen bestimmten Zeitraum die Chance, am Leben seines „Gastgebers“ teilzuhaben, Überlegungen mitzuerleben, auch, um daraus eigene Schlüsse ziehen zu können. Der Erfahrungsschatz auf den jeder Einzelne irgendwann für seine eigene Entscheidungsfindung zurückgreifen kann, erweitert sich somit um die Erfahrungen seines Gastgebers.
Spätestens an dem Punkt, wenn Gedankenprozesse durch Fremdeinwirkung verändert bzw. beeinflusst werden können, löst der Gedanke an eine „Neurokommunikation“ über unseren Gehirnchip ein beängstigendes Gefühl aus. Schließlich geht es um unser Gehirn, das wichtigste Organ. Es ist unersetzbar, eine Art Heimat unserer Persönlichkeit. Bis zur Horrorvision der Gedankenmanipulation oder zur Gefahr der gänzlichen Gedankenkontrolle durch Außenstehende scheint es im Chipzeitalter nur noch ein sehr kleiner Schritt zu sein. In „Avatar“ von James Cameron wurde uns bereits 2009 der gedankengelenkte Ersatzkörper vorgestellt. „Der Aufbruch nach Pandora“ war ein Aufbruch in eine angeblich surreale Welt.
Heute ist es vor allem die dynamische Entwicklung der Neurowissenschaft, die uns diese Welt schrittweise näher bringt. Nicht zu vergessen ist dabei ihre Kehrseite: Das immer schon sehr innige Verhältnis zwischen Wissenschaft und Krieg. Jonathan Moreno, Professor an der Universität in Pennsylvania weiß, wovon er spricht, wenn er sagt: „Jeder wichtige Artikel, den Neurowissenschafter publizieren, wird vom Pentagon und der Rüstungsindustrie geprüft.“
… Drohnen steuern
DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency), die Forschungsabteilung des US-Verteidigungsministeriums, hat mit HAPTIX (Hand Proprioception and Touch Interfaces) ein neues Projekt zur Verbesserung von Armprothesen für Amputierte ins Leben gerufen. Es geht dabei um sensorgestützte Prothesen, die über sogenannte bi-direktionale periphere Nervenimplantate eine normale Benutzung von Händen und Armen ermöglichen sollen. Der armamputierte Soldat soll so schneller zum Militär zurückkehren können.
Gleichzeitig – und dafür gibt das US-Verteidigungsministerium immer mehr Geld aus – sollen implantierbare Therapiegeräte helfen, Gedächtnisverluste durch traumatische Kriegserfahrung oder Lücken im Langzeitgedächtnis des Gehirns zu überbrücken. „Damit sie auf einfaches Fakten- und Basiswissen zugreifen können“, betont die Informationen der Forschungsbehörde DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency) des US-Verteidigungsministeriums.
So lautet zumindest die offizielle Begründung der Forschungsabteilung. Einerseits versucht die Medizin, Gedanken von Locked-in-Patienten lesbar zu machen. Eine Methode, die andererseits auch bei Verhören dienlich sein könnte. Doch geht es DAPRA wirklich nur um die Rehabilitation verletzter Soldaten? Ist das ehrgeizige Ziel nicht auch, vielleicht sogar primär, die Leistungsfähigkeit gesunder Soldaten weiter zu verbessern? Sobald Gedächtnisinhalte beeinflussbar sind, könnten sie manipuliert werden. Gerüchte um Neurowaffen, die bei Hirnströmen feindlicher Soldaten ansetzen, werden auch von der Britischen Royal Society aufgegriffen. Sie warnt davor, Erkenntnisse aus der Hirnforschung für militärische Zwecke zu missbrauchen.
Auf der DARPA-Webseite ist zu lesen: „Die Vision ist, biologische und kognitive Technologien zusammenzubringen, um die Fähigkeit der Piloten, zu fliegen, zu kämpfen und zu gewinnen, zu optimieren und zu schützen.“ In anderen Worten: Es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis es den ferngesteuerten Soldaten oder die durch Gedankenkraft gelenkte Drohne tatsächlich geben wird. Kabellose Datenübertragung und Gehirnströme könnten schon bald einen Roboter lenken, der mit künstlichen Sinnesorganen ausgestattet ist. Wer vom Hals abwärts gelähmt ist, könnte sein Zimmer auf diese Weise zumindest virtuell verlassen, weil eine „Brain-Computer-Interface“- Kommunikationsmethode ohne Muskelkraft auskommt.
Erstmals publiziert: Forbes No. 3-20;
Autor: Raoul Sylvester Kirschbichler