Die Berliner Mauer teilte Deutschland 28 Jahre lang. Ihr Bau (1961) und ihr Ende (1989) sind Eckpfeiler der europäischen Geschichte. Ein Jubiläum ist Anlaß für einen Rückblick.
Es ist der Hartnäckigkeit der deutsch-russischen Historikerkommission zu verdanken, dass wir im Russischen Staatsarchiv für Zeitgeschichte heute fast uneingeschränkten Zugang zu bestimmten Aktenbeständen haben. Nur so war es möglich die Frage zu klären, ob der Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 tatsächlich vom Kreml angeordnet wurde oder, ob es eine Entscheidung der SED-Führung in der DDR war. Die Antwort findet sich in einem zwanzig Seiten starken Protokoll, das nach 48 Jahren – also erst im Jahr 2009 – freigegeben wurde.
Kurz vor der dem Zusammentreffen aller Warschauer-Pakt Staaten im Sommer 1961, kam es am 1. August 1961 in Moskau zu einem richtungsweisenden Vieraugengespräch zwischen Walter Ulbricht (SED) und Nikita Chruschtschow (KPdSU). Dabei wurde überlegt, wie die Zugänge nach West-Berlin „vermauert“ werden könnten.
Wie aus dem Gesprächsprotokoll hervorgeht, war es Chruschtschow, der die Aufgabenteilung klar festlegte: „Den Ring sollten unsere Truppen legen, aber kontrollieren sollten Ihre Truppen.“ Und er fügte unmissverständlich hinzu: „Wer versucht uns einen Krieg aufzwingen, der kann einen Krieg haben.“ Genau genommen war Chruschtschow perfekt vorbereitet in dieses Gespräch gegangen. Sein Generalstab hatte bereits im Vorfeld alles genau durchdacht und ausgearbeitet. „An der Grenze zur BRD“, erklärt der sowjetische Staats- und Parteichef, „werden sich unsere Panzer hinter den Stellungen eurer Soldaten eingraben. Das tun wir so geheim, dass es der Westen nicht mitbekommt.“ Er bot Ulbricht die Hilfe der sowjetischen Armee an, verschwieg ihm aber, dass die Verlegungung weiterer sowjetischen Soldaten in die DDR von den Mitgliedern des Politbüros und von seinem Generalstab längst beschlossen war.
In kürzester Zeit kam es zu gigantischen Truppenbewegungen. Westliche Geheimdienste gaben ihre Informationen darüber sofort an die jeweiligen Staats- und Regierungskanzleien weiter. Moskau schickte weitere 37.500 sowjetische Soldaten und insgesamt rund 700 Panzer (das entspricht zwei großen Panzerdivisionen) in die DDR. Die in Ungarn stationierte Rote Armee wurde um 10.000 Mann verstärkt, 70.000 zusätzliche sowjetische Soldaten sollten die polnische Westgrenze absichern. Bevor die Berliner Mauer errichtet wurde, hatte Chruschtschow seine Truppen um ein Viertel vergrößert – insgesamt 545.000 Soldaten der Roten Armee waren zu diesem Zeitpunkt in den Warschauer Pakt Staaten Mitteleuropas stationiert. Ein Drittel der sowjetischen Landstreitkräfte wurde in die DDR, nach Polen und nach Ungarn entsandt, um die militärische Grenzsicherung während des Mauerbaus zu gewährleisten. Chruschtschow hatte alles perfekt durchdacht, auch einen Militärschlag des Westens hatte er einkalkuliert. Historiker gehen davon aus, dass Chruschtschow für den Mauerbau sogar den Ausbruch eines Krieges in Kauf genommen hätte.
Die Bedenken seines Außenministers Andrei Gromyko und namhafter sowjetischer Völkerrechtsexperten ließen ihn kalt. Chruschtschow gab die Anordnung, die Mauer quer durch die Stadt entlang der Sektorengrenze zu bauen. Nikita Chruschtschow liebte das Risiko. Bestes Beispiel war die Kuba-Krise (1962): Ein Weltkrieg wurde in allerletzter Sekunde verhindert. Chruschtschow zeigte dabei, dass er im Ernstfall und unter Druck eine friedliche Lösung bevorzugte. Somit war er den Hardlinern im Politbüro ein Dorn im Aug, für die anderen Genossen war er schon lange viel zu „unkalkulierbar“. Nikita Sergejewitsch Chruschtschow wurde 1964 von den Mitgliedern des Politbüros der Sowjetunion entmachtet, gestürzt von seinem Nachfolger Leonid Iljitsch Breschnew.
Die Berliner Mauer teilte Deutschland 28 Jahre lang: Vom 13. August 1961 bis zum 9. November 1989. Zwei Staaten, die nach ihrer Gründung im Jahre 1949 völlig unterschiedenliche politische und wirtschaftliche Kurse steuerten, schlossen sich nach über 41jähriger Trennung wieder zusammen. Im kommenden Herbst feiert Deutschland seinen 25. Wiedervereinigungs-Geburtstag.
Dass es so weit kommen konnte verdankt der Westen auch dem zuletzt frei gewählten Parlament in der Deutschen Demokratischen Republik. Was staatsrechtlich „als Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland“ vollzogen wurde, war letztendlich (vor allem nach gesellschaftlichen Gesichtspunkten) nichts anderes als ein Anschluß an die BRD. Das Geschenk der Bundesrepublik an die Bürger der DDR war die „Wirtschafts-, Währungs- und Sozialreform“.
Während Präsident Gorbatschow und sein amerikanischer Amtskollege George Bush die Wiedervereinigung unterstützten, herrschte in London und Paris große Skepsis. Zwar war die Bundesrepublik Deutschland zu diesem Zeitpunkt seit vier Jahrzehnten nicht nur ein demokratischer Rechtsstaat, sondern auch ein verlässlicher Bündnispartner, aber die Angst vor der Wiederauferstehnung großdeutscher Machtträume war in Europas Staats- und Regierungskanzleien deutlich spürbar. Die Größe des neuen Deutschlands wurde als Risiko für die Sicherheit und Stabilität Europas gesehen.
Die hohe Diplomatie erlebt 1990 einen einzigartigen Höhepunkt: In den sogenannten „Zwei-plus-Vier-Gesprächen“ beraten ab dem 5. Mai die Außenminister der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs gemeinsam mit den Regierungschefs der beiden deutschen Staaten über die außenpolitischen Konsequenzen einer Wiedervereinigung.
Im Mittelpunkt der Verhandlungen stand die Ablösung der Rechte der Alliierten (Potsdamer Abkommen von 1945) und die Frage der Büdniszugehörigkeit des neuen, geeinten Deutschlands. Natürlich wollte der Westen, dass das neue größere Deutschland weiterhin NATO-Mitglied bleibt. Doch die Ausweitung des NATO-Bündnisses bis an die deutsch-polnische Grenze war für den Kreml ein Alptraum, der nie wahr werden durfte. Am 14. Juli 1990 reiste Bundeskanzler Helmut Kohl zu vertraulichen Vieraugengesprächen mit Michail Gorbatschow nach Schelesnowodsk im Kaukasus. Bereits 24 Stunden später gibt der Kanzler der deutschen Einheit auf einer Pressekonferenz das sensationelle Ergebnis bekannt: „Der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow erklärt sein Einverständnis zur freien Bündniswahl eines vereinten Deutschlands.“
In weiterer Folge gewährten die USA, die Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich dem geeinten Deutschland „staatliche Souveränität“. Im Gegenzug garantierte Bundeskanzler Kohl den Verzicht auf ABC-Waffen und die Unverletzbarkeit bestehender Grenzen. Ganz formell wurde der bestehende deutsch-polnische Grenzverlauf entlang der Oder-Neiße-Linie von der deutschen Volkskammer und vom deutschen Bundestag am 21. Juni 1990 festgeschrieben bzw. bestätigt.
Am 3. Oktober 1990, knapp ein Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer, übermittelten die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges erstmals ihre Glückwünsche zum Tag der Deutschen Einheit.