Vor zwei Jahren wurden Amanda Knox und ihr damaliger Freund Raffaele Sollecito wegen Mordes zu 26 bzw. 25 Jahren Haft verurteilt. Letzte Nacht endete das Berufungsverfahren in Perugia (Italien) mit zwei Freisprüchen. Ausschlaggebend war die schlampige Spurensicherung der italienischen Polizei. Ein einzigartiges Medienspektakel rund um Sex, Drogen und Gewalt geht zu Ende. Zurück bleiben Zweifel und ein widerrufenes Geständnis.
„Ich habe nicht gemordet. Ich habe nicht vergewaltigt. Ich habe nicht geraubt.“ In nahezu perfektem Italienisch beteuerte die Amerikanerin Amanda Knox, 24, gestern erneut ihre Unschuld. Sie kämpfte, weinte und flehte.
Noch vor zwei Jahren hatte sich das Gericht von Perugia in allen Punkten der Tatversion der Staatsanwaltschaft angeschlossen: Die Gaststudentin Amanda Knox und ihr italienischer Freund Raffaele Sollecito hätten den Abend des 1. Novembers 2007 zusammen verbracht, seien später noch durch die Altstadt gezogen, wo sie den aus der Elfenbeinküste stammenden Rudy Guede trafen. Gegen Mitternacht sind alle drei noch auf ein Glas in die Via della Pergola gegangen. Das Opfer Meredith Kercher sei zu diesem Zeitpunkt schon im Bett gewesen.
Kercher sei, so der Staatsanwalt, genervt gewesen, dass Knox schon wieder zwei Männer mit in die Wohnung gebracht habe. Es kam zum Streit über ihre verschiedenen Lebensansichten und über die nicht bezahlte Miete. Dann hätte Amanda Knox den Kopf von Meredith Kercher gegen einen Schrank geschlagen.
Die Schilderung der Anklage:
„Kercher fällt zu Boden, die drei beginnen sie auszuziehen. Meredith Kercher wehrt sich, Sollecito holt sein Taschenmesser heraus, Knox holt ein Küchenmesser. Rudy Guede (der Mann aus der Elfenbeinküste) versucht Meredith zu vergewaltigen, Sollecito verletzt sie. Schließlich tötet Knox sie mit einem tiefen Schnitt durch den Hals. Alle drei fliehen, später kommen Knox und Sollecito zurück, fingieren stümperhaft einen Einbruch und verwischen die Fingerabdrücke“.
Der blutüberströmte, halb nackte Leichnam von Meredith Kercher ist am Nachmittag des 2. Novembers 2007 in der Studentenwohnung, die sie sich mit Amanda Knox geteilt hatte, aufgefunden worden. Die italienische Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass die Amerikanerin Knox maßgeblich an der Ermordung der dunkelhaarigen Austauschstudentin aus der britischen Grafschaft Surrey beteiligt war.
Im Prozess stellten die Verteidiger Rudy Guede als alleinigen Täter dar – der wiederum Sollecito und Knox belastete. Die Anklage versteifte sich auf die belastenden DNA-Spuren am Tatmesser, das nach dem Mord bei Raffaele Sollecito gefunden wurde, und auf DNA-Spuren am BH der Toten. Der Prozess habe „ein einheitliches und vollständiges Bild (von der Tat) ergeben, ohne Lücken und Ungereimtheiten“, argumentierte das Gericht 2009 in seiner 427 Seiten starken Urteilsbegründung.
Vor allem die gefundenen DNA-Spuren standen im Mittelpunkt des Berufungsverfahrens. Für die Verteidigung war von Anfang an klar, dass die italienische Spurensicherung schlampig gearbeitet hatte. Unabhängige Gutachter legten dar, dass bei der ursprünglichen Probennahme am Tatort internationale Standards der Spurensicherung nicht befolgt wurden. Die auf dem Mordmesser festgestellten DNA-Spuren Amandas und der genetische Fingerabdruck Raffaeles an einem Büstenhalter der Getöteten seien verunreinigt, hielten die Rechtsmediziner fest. Man könnte „mehrere genetische Profile“ darin erkennen.
Der blutige Pullover des Opfers tauchte 48 Tage nach dem Mord in einem Wäschekorb wieder auf. „Der hätte gut aufbewahrt werden müssen, anstatt in der schmutzigen Wäsche zu landen“, so Walter Patumi, Gerichtsmediziner und Zeuge der Verteidigung. Belastungszeugen wie Rudy Guede widersprachen sich im Berufungsverfahren mehrfach. (Er wurde bereits zuvor – wegen Beihilfe in diesem Mordfall – in einem Schnellverfahren zu 16 Jahren Haft verurteilt).
Somit stand fest, dass das Urteil gegen Amanda Knox und ihren damaligen Freund, Raffaele Sollecito, aufgehoben werden musste. Primär, weil ihre Schuld nicht einwandfrei zu beweisen war. De jure gelten die beiden somit als „unschuldig“. Doch die Zweifler und Skeptiker werden nicht so schnell verstummen. Vor allem das widerrufene Geständnis von Amanda Knox bleibt in Erinnerung. Auch wenn es (angeblich) von der italienischen Polizei erzwungen wurde.
Meredith Susanna Cara Kercher (28. Dez. 1985 – 1. Nov. 2007)