Die Wirtschaftssanktionen haben den Iran an den Verhandlungstisch zurückgeholt. In Wien wird über die Zukunft des umstrittenen iranischen Atomprogramms verhandelt. Stiller Beobachter ist die Rüstungsindustrie. Alte Feindbilder dürfen sich nicht ersatzlos in Luft auflösen. Neue Gedanken zu einem alten Konflikt.
Seit Beginn der Erdölförderung wurden im Iran rund 9 Mrd. Tonnen Erdöl gefördert. Vor zehn Jahren hat die OPEC eine Quotenregelung festgelegt, seither schwankt die Fördermenge im Iran zwischen 200 Mio. und 210 Millionen Tonnen pro Jahr (inkl. Kondensat). Gleichzeitig verfügt das Land mit rund 20 Mrd. Tonnen immer noch über 10 Prozent aller Welt-Erdölreserven und über 30 Billionen m³ Erdgasreserven. So ist die Frage, weshalb Teheran seit 10 Jahren die zivile Nutzung der Kernenergie vorantreibt und weiter ausbauen möchte, sehr berechtigt.
Logischerweise verdächtigt der Westen den Iran, unter dem Deckmantel eines friedlichen Atomprogramms heimlich Nuklearwaffen zu entwickeln. Schließlich macht es keinen Sinn, in einer tief verbunkerten Anlage wie Fordo, 130 Kilometer südwestlich von Teheran, Uran bis zu 20 Prozent anzureichern und gleichzeitig mit friedlichen Absichten zu argumentieren. Fordo, nahe der Stadt Ghom, liegt tief im Inneren eines Berges und ist sicher vor jeglichen Luftangriffen. Die unterirdische Atomanlage kam erstmals vor rund 5 Jahren in die Schlagzeilen: Westliche Geheimdienste berichteten am 25. September 2009, “dass der Iran die unterirdische Atomanlage Fordo in einem angrenzenden Gebirgsmassiv errichtet hat.”
Hier wird seit dem Jänner 2012, das hat auch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien bestätigt, Uran bis zu 20 Prozent angereichert, um den Brennstoff im Teheraner Forschungsreaktor TRR einzusetzen. Angeblich für die Behandlung von Krebserkrankungen, wie Teheran argumentiert. Nuklearmedizinische Materialien selbst herzustellen macht vor allem dann Sinn, wenn man mit einem harten Embargo rechnet.
In Fordo werden heute 3000 Zentrifugen betrieben. Es ist – neben Natans – die zweite iranische Anlage zur Anreicherung von Uran. Insgesamt besitzt der Iran über 19.000 Zentrifugen, rund 10.000 sind derzeit im Einsatz.
Wie viele Zentrifugen der Iran für seine friedliches Atomprogramm tatsächlich benötigt, ist einer der großen Streitpunkte bei den Atomgesprächen in Wien. Insbesondere Frankreichs Außenminister Laurent Fabius pocht auf eine deutliche Reduzierung der Zentrifugenanzahl. Denn je weniger Zentrifugen im Einsatz sind, desto länger braucht der Iran um Atomwaffen herzustellen. Doch ein iranischer Diplomat meinte bereits im Vorfeld der Gespräche, dass sein Land 50.000 Zentrifugen brauche und nicht 49.999 und davon auch nicht abrücken werde.
Der Iran selbst nährte immer wieder die Gerüchte rund um sein Atomprogramm, schürte damit Angst und Hass vor allem beim Erzfeind Israel, verneinte aber im selben Atemzug energisch, dass die Urananreicherung militärischen Zwecken dienen könnte. Gleichzeitig ist der Iran nicht bereit, sein Programm den Inspektoren der Atomenergiebehörde (IAEA) vollständig offenzulegen. Dabei hat der Iran gar nichts zu befürchten, wenn er wirklich nichts zu verbergen hat. Ganz im Gegenteil: Alle Verdächtigungen wären mit einem Schlag aus der Welt geschafft.
Gleichzeitig wissen wir, dass der Iran ein willkommenes Feindbild für die gesamte Rüstungsindustrie ist. Niemand möchte die Berichte der Geheimdienste, vor allem des Mossad, über die wahren Hintergründe des iranischen Atomprogramms ernsthaft infrage stellen. Sicher ist aber, dass das Atomprogramm des Irans ein willkommener Anlass ist, um Waffenexporte in diese Region zu rechtfertigen. Hinter der Geschichte rund um den Erzfeind Iran verstecken sich wirtschaftliche Interessen. Denn für die gesamte, nicht nur für die amerikanische Rüstungsindustrie, lässt sich im Nahen und Mittleren Osten sehr viel Geld verdienen. Russland wiederum profitiert von der Gegenseite: Denn im Zuge des regionalen Wettrüstens kauft der Iran moderne konventionelle Waffen in Moskau ein.
Möglicherweise besteht die große Kunst der Verhandlungen in Wien darin, ein für beide Seiten politisch akzeptables Agreement auszuverhandeln, das sich in der islamischen Welt genauso gut verkaufen lässt wie im Westen, ohne dabei die Milliardengeschäfte der Rüstungsindustrie ernsthaft zu gefährden. Israel ist ein selbst ernannter Wegbereiter einer solchen Lösung, weil es die Gespräche mit dem Iran lange Zeit auf das Schärfste verurteilt hat und so signalisierte, dass das Aufrüsten weitergehen muss, um die nationale Sicherheit nicht zu gefährden.
Erst vor wenigen Jahren hatte Israel insgesamt drei U-Boote der zweiten „Super Dolphin“ Generation 212 A in Deutschland bestellt. Die Gesamtkosten beliefen sich auf rund 1,6 Milliarden Euro. Die Besonderheit des Super Dolphins: Unter Wasser wird dieses U-Boot rein elektrisch mit Hilfe von Brennstoffzellen angetrieben. Der große Vorteil: Es muss nicht regelmäßig auftauchen, um entleerte Batterien wieder aufzuladen. Unbestätigten Berichten zur Folge sollen Israels neue U-Boote auch Raketenschächte für Atomwaffen besitzen. Doch Thyssen Krupp Marine Systems, der Eigentümer der Howaldtswerke Werft in Kiel, wo der erste Super Dolphin ins Wasser gelassen wurde, hüllt sich in Schweigen: Kein Kommentar.
Nukleare Doppelgleisigkeit
Die Mitglieder der Arabischen Liga haben bereits mehrmals angekündigt, den Atomwaffensperrvertrag aufzukündigen, falls Israel offiziell eingesteht, Atomwaffen zu besitzen*. Das ist auch ein Grund, weshalb die Israelis an dem Abkommen mit den USA aus dem Jahr 1969 festhalten. Damals sind Israels Ministerpräsidentin Golda Meir und Richard Nixon übereingekommen, “dass Israel Atomwaffen besitzen darf, solange es das öffentlich nicht zugibt.” Der Fachbegriff dafür heißt: “Nukleare Doppelgleisigkeit”. Auf die Frage, ob sich hinter diesem Ausdruck nicht primär Täuschung versteckt, erklärte Israels Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger Shimon Peres in einem BBC-Interview: “Wenn Dich jemand töten möchte und Du täuscht ihn, um Dein Leben zu retten, dann ist das nicht unmoralisch. Wenn wir keine Feinde hätten, bräuchten wir niemanden zu täuschen und bräuchten auch keine Abschreckung.”
* Die Aufzeichnungen von Mordechai Vanunu geben Aufschluss über das Atomprogramm Israels. Seine Abschriften wurden 1999 von der populären israelischen Tageszeitung “Yediot Ahronot” veröffentlicht. Seit damals wissen wir:
1. Israels Plutonium wird in Dimona hergestellt. Dimona ging 1964 in Betrieb. Frankreich hatte Israel bei seinem Atomwaffenprogramm geholfen und dafür militärische Unterstützung im Suez-Krieg erhalten. Damaliger israelischer Außenminister war Shimon Peres. Er erhielt 1994 den Friedensnobelpreis. In Dimona werden derzeit vier bis fünf Sprengköpfe pro Jahr herstellt.
2. Israels Nuklearwaffen werden in Yodefat montiert und in Zachariah bzw. Elabun aufbewahrt.
3. Israels Bio- und Chemiewaffenlaboratorien befinden sich in Nes Ziona.
4. Zumindest drei israelische Atom U-Boote sind die meiste Zeit in Haifa stationiert.
Auch das Atomprogramm des Irans hat eine lange Tradition: Ayatollah Khomeini hatte nach der islamischen Revolution vom Schah ein Nuklearprogramm übernommen, das vom Westen unterstützt und mit westlicher Technologie auf- und ausgerüstet wurde. Und auch für militärische Zwecke genutzt werden konnte. Doch die Kernenergie galt zumindest bis zum “Iran-Irak Krieg” (1980-1988) als “un-islamische” Technologie.
Ein kurzfristiges Umdenken in Teilen der islamischen Gesellschaft hat sicherlich die amerikanische Invasion “Desert Storm” ausgelöst. Doch letztendlich waren die religiösen Argumente der vielen Kleriker im Iran wegweisend für die Atompolitik. Ayatollah Seyed Ali Khamenei, der Oberste geistliche Führer erklärte: “Die Nutzung von Massenvernichtungswaffen ist im Islam verboten.”
Gemeinsam mit dem Schlichtungsratschef Ayatollah Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani hat er nun grünes Licht für einen Atom-Deal mit dem Westen gegeben, wenn die andere Seite auch entsprechende Schritte setze, berichten iranischen Medien. „Wir haben nichts zu verstecken“, und Ayatollah Khamenei hat auch mehrmals wiederholt, dass Atomwaffen eine Sünde seien und der Iran deshalb auch keine anstrebe.
Der Atomwaffen-Bluff?
Glauben wir dem religiösen Oberhaupt, dann waren die letzten zehn Jahre nur ein einziger großer Atomwaffen-Bluff. Vielleicht um den ungeliebten Nachbarn, die Atommacht Pakistan auf Distanz zu halten? Viele Iraner sind überzeugt, dass ihr Land eine historisch-kulturelle Führungsrolle in dieser Region haben muss. Der Nachbar Pakistan ist in ihren Augen ein historisch und kulturell „rückständiges“ Land. Die Kernwaffentests des pakistanischen Militärs aus dem Jahr 1998 schmerzen die Iraner heute noch. Ihr Stolz sagt ihnen, dass der Iran über die gleichen Waffensysteme verfügen soll, verfügen muss wie seine Nachbarn. Und aus Gründen der nationalen Sicherheit sollte der Iran zumindest eine Atomwaffenoption haben.
So gesehen ist es auch verständlich, dass der Iran nie alle detaillierten Informationen über sein Atomprogramm auf den Tisch gelegt hat: Nur solange die theoretische Möglichkeit besteht, dass der Iran in absehbarer Zeit, wenn es nach den Israelis geht – schon sehr bald – Atomwaffen besitzen kann, lebt das Prinzip der Abschreckung, das den Iran zu einer viel beachteten Großmacht in dieser Region emporsteigen ließ. Gut möglich, dass diese Politik in den letzten zehn Jahren eine – anfangs unterschätzte – Eigendynamik entwickelt hat, von der Iran nur profitieren kann, solange er keine konkrete Antwort gibt, ob er nun an der Bombe bastelt oder nicht.
Inwieweit die derzeitigen Verhandlungen in Wien tatsächlich in einer Kurskorrektur münden, bleibt abzuwarten. Schließlich geht es dem Iran primär um die Aufhebung der Sanktionen. Sie haben eine Schattenwirtschaft entstehen lassen, die das Regime weitgehend selbst kontrolliert. Doch die Handels- und Finanzbeschränkungen verschärfen die Probleme, die Teherans Misswirtschaft hervorgebracht hat. Parallel dazu ist der iranische Rial in den letzten Jahren immer weiter abgestürzt. Importe wurden teurer, Subventionen auf Lebensmittel wie Zucker und Brot wurden abgeschafft und durch verschiedene Sozialleistungen ersetzt. Der Preis für Mehl hat sich mittlerweile verzehnfacht. Die Sanktionen greifen, nur treffen sie in erster Linie die Mittelschicht.
Mit dem überraschenden Wahlsieg von Hassan Ruhani vor einem Jahr ist die iranische Politik wieder ins Zentrum des politischen Spektrums gerückt. Der gemäßigte Reformer Ruhani, 65, hatte von Anfang an klar gemacht, dass er die 5+1-Gespräche (mit den vier Vetomächten plus Deutschland) wieder aufnehmen möchte. Erklärtes Ziel ist es, dass die Sanktionen aufgehoben werden.
Das Genfer Abkommen
Das Genfer-Abkommen vom 24. November 2013 gilt bereits als erster Etappensieg:
Reedereien aus der EU dürfen jedoch wieder Rohöl aus dem Iran in sechs Staaten transportieren, die auch bisher noch iranisches Rohöl bezogen haben: China, Indien, Japan, Südkorea, Taiwan, Türkei. Das Einfuhrverbot von iranischem Erdöl bleibt jedoch bestehen.Die USA geben insgesamt 4,2 Milliarden Dollar (3,1 Milliarden Euro) iranischer Gelder frei, die aus den sechs oben genannten Staaten stammen. Die Freigabe erfolgt in acht Tranchen, die letzte wird im Juli fällig. Schätzungen gehen davon aus, dass insgesamt rund 100 Mrd. Dollar des Irans im Westen auf Eis gelegt wurden.
Das Verbot des Handels mit Gold und Edelmetallen wird für 6 Monate ausgesetzt.
Die Obergrenzen für Überweisungen in den Iran ohne Genehmigung werden verzehnfacht: 1 Million Euro für humanitäre Zwecke, 400.000 Euro für persönliche Zwecke, 100.000 für alle anderen Transfers.
Im Gegenzug setzt der Iran die Anreicherung von Uran auf mehr als fünf Prozent aus, verdünnt einen Teil der Uranvorräte und lässt die IAEA-Kontrolleure arbeiten.
Der gemeinsame Feind
Die alles entscheidenden Atomgespräche in Wien, die bis zum 20. Juli angesetzt wurden, finden aber plötzlich vor einem veränderten geopolitischen Hintergrund statt. Die sunnitischen Isis-Kämpfer wollen ihren eigenen Gottesstaat errichten, vor allem in Syrien und im Irak. Sollten sich die sunnitischen Kräfte im Irak tatsächlich durchsetzen, muss sich der schiitische Iran auf eine neue bedrohliche Situation einstellen, auf einen religiös motivierten sunnitischen Diktator im Nachbarland.
Die iranische Führung hat ein sehr großes Interesse, die sunnitischen Dschihadisten zu stoppen und im selben Moment den irakischen Premierminister zu stützen, weil der Schiite Nuri al-Maliki viel besser zu den Vorstellungen des schiitischen Iran passt. So teilen die USA und der Iran plötzlich ein gemeinsames Interesse: Die Vertreibung der Terrormiliz Isis, die einen kompromisslosen Gottesstaat errichten möchte.
Neigt sich die 35-jährige diplomatische Eiszeit zwischen den beiden Erzfeinden USA und Iran dem Ende zu? Der Vormarsch der Isis-Kämpfer wird sich nur nachhaltig stoppen lassen, wenn Teheran und Washington zusammenarbeiten. Bevor sich die USA aber zu schnell und zu tief in die neue Irak-Problematik hineinziehen lassen, wird der Iran zum Handeln im Irak herausgefordert. Mit Erfolg: Laut der „New York Times“ fliegen iranische Drohnen bereits Aufklärungsflüge für die irakische Regierung. Und selbst ein militärisches Eingreifen möchte Irans Präsident Hassan Ruhani nicht mehr ausschließen.
Im Gegenzug versucht Teheran sein Engagement im Irak als Hebel bei den Wiener-Atomgesprächen einzusetzen und macht unmissverständlich klar, dass ein Scheitern der Verhandlungen negative Auswirkungen auf die gesamte Region haben kann.
Es ist klar, der Iran möchte von seinem Atomprogramm nur so viele Abstriche machen wird, wie unbedingt notwendig sind, damit der Westen die Sanktionen aufhebt. Im Grunde genommen soll das Atomprogramm in seiner Substanz erhalten bleiben. Das ist viel wichtiger als ein diplomatischer Schulterschluss mit den USA im Kampf gegen die Isis Terrormiliz im Irak. Natürlich schließen beide politischen Vorgaben einander nicht aus.
Der Westen und die USA waren für die Führung in Teheran ein Feindbild, das viele Fragen rund um wichtige innenpolitische Entscheidungen im letzten Jahrzehnt leichter beantworten ließ: Wozu braucht der Iran eine Armee von 523.000 Soldaten bzw. ein Militärbudget, das nach Schätzungen des International Institute for Strategic Studies (IISS) im Jahr 2009 rund 10 Mrd. Dollar ausmachte? Letztendlich lassen sich in Teheran auch alle Fragen nach dem kostspieligen iranischen Atomprogramm besser beantworten, solange die alten Feindbilder auch die neuen bleiben.