Durch das Kaufprogramm für Unternehmenskredite wird die Bankenrettung fortgesetzt. Mit neuem Geld will die EZB nun Staatsschulden aufkaufen. Wo endet das Mandat der EZB?
Die Kristallkugel muss gar nicht großartig aufpoliert werden, denn es scheint so gut wie sicher zu sein, dass die Zinsen noch zumindest zwei Jahre so niedrig bleiben werden. Derzeit steht der Leitzinssatz bei 0,05 Prozent. Dahinter steckt auch die Hoffnung, dass der große Ansturm auf die Billigkredite doch noch einsetzen wird. Genau genommen ist aber der realwirtschaftliche Effekt, den eine Zinssenkung mit sich bringen kann, sehr überschaubar.
Das ist auch der Hauptgrund weshalb die Europäische Zentralbank ein neues Kaufprogramm für Unternehmenskredite mit dem Kürzel „TLTRO“ ( Targeted longer-term refinancing operations) ins Leben ruft. Primär soll die Kreditvergabe in Südeuropa angekurbelt werden. Für vier Jahre garantiert die Notenbank den Zins von 0,15 Prozent. Die Banken müssen im Gegenzug aber nachweisen, dass der jeweilige Kredit gewährt wurde, um die Realwirtschaft zu stärken. Ansonsten muss das Geld früher zurückgezahlt werden. Bis zu 400 Milliarden Euro stehen den Banken für diesen Kreditvergabeweg zur Verfügung. Die größten Summen dürften nach Frankreich, Spanien und Italien fließen. Nach Schätzungen der Commerzbank soll Italien mindestens 19 Milliarden bekommen, rund 7,75 Milliarden erhält die Großbank Unicredit, die spanischen Banken bekommen insgesamt zumindest 11 Milliarden Euro.
Experten der EZB hatten damit gerechnet, dass die Euro-Banken in einem ersten Schritt Langfristtender mit einem Volumen von rund 133 Milliarden Euro beziehen würden. Mit 82,6 Milliarden Euro für 255 Banken fiel die Gesamtsumme aber sehr bescheiden aus. Man ist versucht dem Kürzel „TLTRO“ eine neue Bedeutung zu geben: „Too low to resuscitate optimism.“
Diese Form der Liquiditätsversorgung gleicht einer Investitionslenkung und unterstützt zudem auf sehr fragwürdige Weise die sogenannten schwachen Banken. Der Verdacht, dass hier eine Bankenrettung durch die Hintertür über die Bühne geht, liegt auf der Hand und lässt sich auch nicht so schnell entkräften: Sobald die Europäische Zentralbank toxische Kreditforderungen von den Banken abkauft, werden die Bilanzen der Banken gerettet und die Bank selber für den bevorstehenden Stresstest aufgerüstet. EZB-Chef Mario Draghi hat das Mandat der Zentralbank erweitert, ohne dass irgendwo lautstark Einspruch erhoben wird.
Entwurzelt wird auch einer der Grundsätze der kapitalistischen Marktwirtschaft, wonach es einfach Konkurse geben muss. Banken sind davon nicht auszunehmen. Gleichzeitig werden die schwachen Banken der Eurozone indirekt aufgefordert, risikoreiche Kredite zu vergeben. Dabei war es doch die Europäische Zentralbank selbst, die gerade die schwachen Banken aufgefordert hat, zur internen Bilanzreinigung anzutreten.
Die Deflationssorgen der Europäischen Zentralbank sind angeblich sehr groß. Die Deflationsdebatte wird von ihr perfekt genützt, um weiter geldpolitische Lockerung vorzubereiten, damit die Konjunktur irgendwann doch wieder anspringt. Gleichzeitig wissen wir, dass sich Frankreich und Italien nicht mehr sehr lange dem von Deutschland verordneten Sparkurs unterwerfen werden. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis frisch gedrucktes Geld zum Ankauf von Staatsanleihen (=Schulden) durch die EZB verwendet wird? Wer soll denn noch Staatsanleihen kaufen, wenn die Zinsen so niedrig sind? Was im Fachjargon als „Quantitative Easing (QE)“ bezeichnet wird, ist nichts anderes als, dass durch Gelddrucken versucht wird, auch die Schulden „wegzudrucken“. Die Notenbank nimmt bzw. kauft dem Staat seine Schuldenlast ab. (Bisher hat die Europäische Zentralbank ihre Anleihenkäufe mit Geld vorgenommen, das sie aus dem Wirtschaftskreislauf herausgenommen hatte. Sie verkaufte beispielsweise andere Anleihen oder verknappte die Kredite an die Geschäftsbanken).
Mario Draghi hat das Wort ‚limitiert‘ im Zusammenhang mit den Anleihenkäufen in letzter Zeit nicht mehr verwendet. Vermutlich stehen Staatsanleihenankäufe durch frisch gedrucktes Geld in unbegrenztem Ausmaß bevor. Voraussetzung ist, dass die betroffenen Länder parallel einen Hilfsantrag beim Europäischen Rettungsfonds EFSF (European System of Financial Supervision) beziehungsweise beim Nachfolger ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) gestellt haben und unter entsprechender Reformkuratel stehen. Zudem könnte der Rettungsfonds auch direkt Anleihen vom jeweiligen Staat kaufen.
Rollt die Europäische Zentralbank der Inflation den roten Teppich aus? Seit dem Beginn der Finanzkrise ist die Geldmenge in der Eurozone um lediglich drei bis vier Prozent pro Jahr gewachsen. Demnach ist das Geldmengenwachstum so gering wie schon seit 20 Jahren nicht mehr. Auch die Verbraucherpreise sind stabil. Allerdings: Selbst wenn die Verbraucherpreise durch die Anleihenkäufe nicht steigen, weil das Geld nicht in die Realwirtschaft gelangt, droht eine Inflation auf dem Finanzsektor: Vermögenswerte wie Immobilien oder Aktien könnten sich stark verteuern und so gefährliche Spekulationsblasen entstehen lassen. Den größten Wirtschaftskrisen sind immer Immobilienblasen vorausgegangen.
„Europa braucht eine reale Abwertung durch die Senkung der relativen Güterpreise in der Größenordnung von 20 bis 30 Prozent. Das könnte durch eine Inflation im Norden oder eine Deflation im Süden bewirkt werden. Zu sagen, dass eine solche Deflation problematisch sei, ist nicht richtig. Problematisch wird es nur, wenn die durchschnittliche Inflation – insbesondere für die selbst erzeugten Waren – negativ wird. Dafür gibt es aber keine Anhaltspunkte. Eine Inflation des BIP-Deflators von zuletzt 0,9% kann nicht als Deflation bezeichnet werden,“ erklärt der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn, der Präsident des Ifo-Instituts in München.