Die Europäische Union ist in einer Sackgasse angekommen. Drei Jahre Euro-Rettungspolitik haben keinen Ausweg aufgezeigt. Zerbricht die Europäische Union am Euro?
Es ist offensichtlich und wir können es mittlerweile auch ganz deutlich aussprechen, ohne sofort als Euro-Skeptiker abgestempelt zu werden: Die Europäische Union ist ein Sanierungsfall. Doch diese ernüchternde Erkenntnis ist kein Grund in Panik zu verfallen oder mit Totschlagargumenten um sich zu werfen und das Ende des Euros mit dem Ende Europas gleichzusetzen. Hilfreicher ist eine kritische, detaillierte Betrachtung, selbst wenn sie schmerzhaft ausfällt und in finaler Konsequenz auch bedeutet, dass wir uns von ganz bestimmten unrealistischen Vorstellungen trennen müssen.
Vergessen wir nicht: Die europäische Zusammenarbeit hat viele große Erfolge mit sich gebracht, zu denen es keine wünschenswerte Alternative gibt: Der Binnenmarkt mit seinen vier Freiheiten war und bleibt ein bemerkenswerter Liberalisierungsschub für ganz Europa.
Der Vertrag von Maastricht war der Auslöser für eine multiple Krise, in der wir jetzt festzustecken drohen. Und je länger wir feststecken, desto größer wird der Vertrauensverlust der EU-Bürger in die Entscheidungen der Europäischen Union. Aus demokratischer Sicht verliert das Unionsprojekt so schrittweise und zunehmend seine politische Legitimität, weil die Bürger Europas nicht mehr dahinterstehen, berechtigterweise zu zweifeln beginnen. Und begründeten Zweifeln kann man nicht nur mit technokratischen Mitteln begegnen.
Mit dem Maastricht-Vertrag, mit der Einführung einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion bzw. einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist die Europäische Union in Bereiche der staatlichen Souveränität vor- und eingedrungen, die in der politischen Praxis schnell als „Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten“ empfunden werden. Diese neuralgischen Punkte auf einen gemeinsamen EU-Nenner zu bringen ist nahezu unmöglich, mit Sicherheit aber bedeutend schwieriger als es die Beseitigung der Barrieren für einen gemeinsamen Binnenmarkt war. Logisch und verständlich zugleich, dass der innere Zusammenhalt der Europäischen Union auf eine überdurchschnittlich harte Probe gestellt wird. Maastricht wirkt(e) kohäsionsgefährdend. Die viel zitierte Schuldenkrise ist dabei nur ein Symptom.
Die Währungsunion hat tiefe Gräben offengelegt und gleichzeitig dargelegt, dass die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen EU-Länder zu unterschiedlich sind. Das ist tief verwurzelt in historischen und wirtschaftspolitischen Grundhaltungen. Nicht nur – wie es oft und gerne dargestellt wird – zwischen Mittel- und Südeuropa. Auch zwischen Frankreich und Deutschland wirkt die unterschiedliche ökonomische Kultur wie ein großer Graben, der immer wieder überwunden werden muss. Das wird offensichtlich sobald die Krisenbewältigungskonzepte diskutiert werden: Paris denkt interventionistisch und etatistisch, verfolgt keine so konsequente Stabilitätspolitik wie Berlin und lässt sich auch von der Inflation nicht so leicht abschrecken.
Die ökonomische Kultur prägt den Charakter einer Gesellschaft über mehrere Generationen hinaus. So ist es auch verständlich, dass verschiedene Länder unterschiedlich auf die Krise reagieren. Wettbewerbsunterschiede wurden früher durch Auf- bzw. Abwertung einer Währung ausgeglichen. Das ist mit Sicherheit marktgerechter als vergleichsweise die derzeitige Austerity-Politik, die in erster Linie die sozial Schwächeren trifft. Seit der Währungsunion ist dieser Ausgleichsmechanismus weggefallen. Das war der Politik durchaus bewusst, trotzdem blieb die gemeinsame Währung eine zu große Verlockung. Vor allem leistungsschwächere Volkswirtschaften profitierten anfangs von den niedrigen Zinssätzen im Euroraum. Vor dem Hintergrund einer globalen Finanzkrise wurde ihnen ihre ökonomische Kultur allerdings sehr schnell zum Verhängnis.
Die Verschuldungspolitik sollte durch drastische Maßnahmen gestoppt werden. Alles musste von nun an der Budgetdisziplin und der nationalen Sparpolitik untergeordnet werden. Die sozialen Folgen bekommen wir tag täglich live ins Wohnzimmer übertragen. Dass das Wort „austerity“ mittlerweile auch aus politischen Überlegungen abgelehnt wird, ist nachvollziehbarer geworden. Es wurde zu einem Unwort. Unter dem Strich bedeutet das, dass wir schrittweise auch die Geschäftsordnung aushöhlen, die der Euro-Rettung zugrunde liegt – eben die Spar-und restriktive Budgetpolitik.
Parallel dazu haben eindeutige Rechtsbrüche stattgefunden, gerade von und innerhalb einer Staatengemeinschaft, die sich als Rechtsgemeinschaft versteht, die das Verhältnis der europäischen Mitgliedsländer auf die Basis gemeinsam geschaffenen Rechtes gestellt hat. Dieses gemeinsame (juristische) Bekenntnis wird auch gerne als ideologischer Kern der Europäischen Union verstanden. Trotzdem wurde das Gemeinschaftsrecht eindeutig gebrochen: Denn das Verbot der Staatsfinanzierung durch Institutionen der Union (also durch Transferzahlungen) wurde einfach abgelehnt. Solche Rechtsbrüche sind natürlich auch aus politischer Sicht sehr bedenklich. Gleichzeitig bewegen wir uns derzeit in Trippelschritten in Richtung Transfer- und Haftungsunion. Beide Begriffe sind verteufelte Reizwörter im deutschen Politiker Jargon. Auch weil die Transferpolitik bürokratische Instrumente benötigt, ökonomische Entscheidungen politisiert und zu einer verstärkten Regulierung mit abgeschwächter Eigenverantwortung führt. Am Ende steht dann eine interventionistische Politik, die sich durch die Auferlegung von Reformmaßnahmen auszeichnet. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass jeder Transfer separat verhandelt werden muss. Das ist schwierig und birgt genug Kraft um Bündnisse zu sprengen, weil hinter den Kulissen ein massiver Verteilungskampf beginnt.
Bis zum heutigen Tag haben keine Maßnahmen, nicht einmal ansatzweise die erhoffte heilsame Wirkung gebracht: Die Verschuldung steigt weiter, die Arbeitslosigkeit bewegt sich auf Rekordniveau und, wo es vor wenigen Jahren noch ein respektables Wirtschaftswachstum gab, kämpfen Volkswirtschaften gegen die lähmende Stagnation oder versuchen sich aus dem Würgegriff der Rezession zu lösen. Dass man den tief verschuldeten Reformländern entgegenkommt, ihnen großzügigere Fristen einräumt ist erwähnenswert, aber hat keine Trendumkehr ausgelöst.
Dabei dauert die Rettungspolitik bereits 3 Jahre. Von der restriktiven Spar- und Budgetpolitik ist die Kommission mittlerweile abgerückt, festgehalten hat sie an ihrem Kurs, nachhaltige Reformen einzumahnen. Das ist auch ihr gutes Recht, seitdem der verschärfte Stabilitätspakt und Fiskalpakt in Kraft sind. Doch vor allem Frankreich winkt ab und empfindet solche Aufforderungen als Einmischung in seine innerstaatlichen Angelegenheiten. Die wortkarge Reaktion lässt sich sinngemäß folgendermaßen zusammenfassen: „Frankreich wird reformieren, wann und wie es Frankreich für notwendig erachtet.“
Ganz pragmatisch gesehen müssen wir der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Recht geben, die meint, dass der Fiskal- und der verschärfte Stabilitätspakt durch die politische Praxis bereits wirkungslos und wertlos geworden sind.
Die Frage, wohin Europa abrutscht, bis es sich wieder selbst aufgefangen hat, ist berechtigt, doch nicht ganz einfach zu beantworten. Auf dem Tisch liegt der föderalistische Lösungsansatz, doch der ist und bleibt unrealistisch: die Vergemeinschaftung der Schulden unter einem föderalen Dach. Dafür müssten die Länder mehr und mehr Souveränitätsrechte nach Brüssel abgeben. Irgendwann würde dann ein europäischer Finanzminister auch ein direktes Durchgriffsrecht auf die nationalen Budgets besitzen. Er wäre Teil einer Wirtschaftsregierung, die auf supranationaler Ebene makroökonomische Entscheidungen fällt. Genau genommen ist das völlig undenkbar und unrealistisch. Das wird nicht einmal die jüngere Generation mehr erleben. Zudem lassen sich Europas verschiedene Volkswirtschaften gar nicht in ein makroökonomisches Korsett zwängen. Niemand wird und will die dafür notwendigen politischen Erfordernisse für die gemeinsame Wirtschaftspolitik einleiten bzw. verabschieden.
Bevor wir weiterhin nach Lösungskonzepten für die Finanz- und Wirtschaftskrise suchen, sollten wir ein, zwei Schritte zurückgehen und uns mit zwei Themen beschäftigen:
Braucht der Binnenmarkt eine gemeinsame Währung?
Das Erfolgsmodell Binnenmarkt hat in der Vergangenheit bewiesen, dass es auf den Euro verzichten kann. EU-Mitglieder, die sich nicht der Währungsunion angeschlossen haben, ist kein Nachteil erwachsen. Weder Dänemark noch Schweden, weder Polen noch Großbritannien – kein Land hat seine Entscheidung, sich nicht dem Euroraum anzuschließen je bereut. Das kann aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine gemeinsame Währung Vorteile hat und auch mit sich gebracht hat.
„Das Ende des Euros bedeutet das Scheitern Europas“
Hinter solchen Aussagen steckt in erster Linie politisches Kalkül. Das Schicksal Europas mit dem Schicksal des Euro zu verknüpfen, wie Merkel es gerne und oft getan hat, ist nicht nur falsch, sondern politisch gefährlich. Wer daran glaubt, wird erpressbar und letztendlich auch erpresst werden. Ein Ende des Euros bedeutet nicht, dass Europa gescheitert ist. Niemals.