Die Umweltkatastrophe in Nigeria übertrifft die Ölpest im Golf von Mexiko. Seit Jahrzehnten wird im Nigerdelta Erdöl gefördert. Alles ist verseucht. Bauern und Fischer haben längst ihre Existenzgrundlage verloren. Sie klagen den Erdölgiganten Shell.
Die Fischernetze sind ölverschmiert. Die Mangrovensümpfe sind von einem schwarzen Ölfilm überzogen. Fische und Grundwasser sind verseucht. Ölgestank liegt in der Luft. Es gibt kaum noch Vögel. Kein Rascheln ist zu hören, wenn der Wind über das Flussdelta weht – die Gräser sind verklebt. Und sobald Kinder in der Flussmündung spielen, ist auch kein Plätschern mehr zu hören – das Wasser ist viel zu zähflüssig. Es wurde zudem durch Schwermetalle verseucht.
Experten bezeichnen die Ölpest im Nigerdelta als „die größte Umweltkatastrophe in der Geschichte der Menschheit.“ Sie sei doppelt so schlimm wie die Ölpest im Golf von Mexiko, schätzt die Umweltorganisation „Friends of the world“. Aus dem Bohrloch im Macondo-Ölfeld sind damals geschätzte 800 Millionen Liter Rohöl ausgetreten. Der Ölteppich im Golf von Mexiko hatte sich in wenigen Tagen auf eine Größe von über 9.900 Quadratkilometern ausgedehnt.
Im Ogoniland, im Südosten Nigerias, ist das Ausmaß der gesamten Katastrophe noch gar nicht richtig einzuschätzen. Seit Jahrzehnten wird hier Erdöl gefördert. Ohne Rücksicht auf die Menschen und die Umwelt. Das ganze Gebiet ist von Förderanlagen übersät, im letzten Jahr wurden in Nigeria 110 Milliarden Liter Rohöl gefördert. Insgesamt 6000 Kilometer Ölpipelines des Mineralölgiganten Shell durchkreuzen das Flussdelta. Einige sind völlig veraltert, sie sind demnach rostig und löchrig. Ackerland ist unbrauchbar geworden, das Grundwasser ist total verseucht. Rund zwei Milliarden Liter Rohöl sind in den letzten 5 Jahren durch Öllecks unkontrolliert in das Niger-Delta geflossen. Zum Vergleich: Beim Exxon Valdez Unglück (1989) vor Alaska strömten 40,9 Millionen Liter Öl ins Meer. Das Mineralölunternehmen Royal Dutch Shell sieht die Ursache für die Ölpest im Ogoniland erwartungsgemäß anders:
„Die wahre Tragödie des Nigerdeltas sind die weitverbreiteten und anhaltenden kriminellen Aktivitäten, wie Sabotage, Diebstahl und das Betreiben von illegalen Förderanlagen. Sie sind für die große Mehrheit der Unfälle verantwortlich.“
Vier Betroffene, unter ihnen Farmer und Fischer, die längst ihre Existenzgrundlage verloren haben, sind erstmals 2008 in Den Haag vor Gericht gezogen. Mit Hilfe von „Friends of the Earth“ versuchen sie seither darzulegen, dass ihnen Entschädigungszahlungen für drei Pipeline-Unfälle aus den Jahren 2004, 2005 und 2007 zustehen. Die Höhe ihrer Forderungen ist nicht bekannt.
Dabei hat sich Shell schon vor langer Zeit an der Reinigung der Böden beteiligt und in den verseuchten Gebieten sogar Schulen und Krankenhäuser gebaut. „Ein Tropfen auf den heißen Stein“, schimpfen die Bewohner. „Die entstandenen Umweltschäden“, argumentieren die Kläger in Den Haag, „sind von Shell nie ordnungsgemäß beseitigt worden.“ Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch eine Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2011. Sie hatte versucht, das gesamte Ausmaß der Ölkatastrophe zu erfassen.
Zum Teil, so die Wissenschaftler, seien heute noch Belastungen aus Ölunfällen nachweisbar, die ungefähr 40 Jahre zurückliegen. Dabei kommen die Experten zum Schluss, „dass in der betroffenen Region Ogoniland die größte Aufräumaktion der Welt notwendig ist.“ Die Kosten werden mit einer Milliarde Dollar beziffert, die Dauer „auf bis zu 30 Jahren“ geschätzt. Wann die Aufräumarbeiten beginnen, weiß niemand. Die erste Dollarmilliarde ist wahrscheinlich schon nach zwei Jahren aufgebraucht. Die Studie empfiehlt deshalb die Gründung eines Sonderfonds.
Der Erdöl-Gigant „Royal Dutch Shell“ hatte vier Jahre lang versucht, den Prozess in den Niederlanden zu verhindern. Die Shell-Anwälte argumentierten, dass die zuständige Tochterfirma Shell Petroleum Development Co. ihren Sitz in Nigeria habe. Doch die Richter in Den Haag haben jetzt entschieden, dass „die strategischen Entscheidungen für Nigeria im Shell-Hauptquartier in den Niederlanden getroffen werden.“
Erstmals muss sich nun ein Erdölkonzern vor einem europäischen Gericht für Umweltschäden in einem Entwicklungsland verantworten. Das ist auch deshalb so wichtig, weil Großkonzerne die internationalen Umweltbestimmungen bzw. Standards auf dem afrikanischen Kontinent gerne, oft und viel zu leicht umgehen.
Ein Urteil wird für kommenden Jänner erwartet.
Post Scriptum:
Im Jahr 2011 verbuchte das Mineralölunternehmen Royal Dutch Shell einen Rekordgewinn von rund 18 Milliarden Pfund, eine Steigerung von 54 Prozent im Vergleich zu 2010. Hauptgrund dafür war der hohe Ölpreis, der 2011 im Schnitt bei mehr als 100 Dollar pro Barrel (159 Liter) lag.
Der Shell-Chef kann sich über eine kräftige Gehaltserhöhung freuen: 10,4 Millionen Pfund hat der Ölmulti dem Vorstandsvorsitzenden Peter Voser im Jahr 2011 gezahlt, inklusive aller Boni und langfristigen Vergütungen. Das sind umgerechnet rund 11,7 Millionen Euro und somit mehr als doppelt so viel wie im Jahr 2010.
Das gab der Konzern in seinem Jahresbericht 2011 bekannt.