Reichstagsgebäude, Berlin © Raoul Kirschbichler

Deutschlands Vertrauenskrise

Die Wahlniederlagen der CDU sind das Ergebnis der deutschen Flüchtlingspolitik. Das Vertrauen in die Bundeskanzlerin ist an einem neuen Tiefpunkt. Muss Merkel umdenken oder kann sie die Flüchtlingskrise einfach aussitzen?

Warum sollte Merkel eine Kursänderung in der Flüchtlingspolitik vornehmen? Weil Wahlen und Wähler verloren gehen? Weil die Union ohne Flüchtlingsobergrenze möglicherweise zerbricht? Seitdem die Flüchlingszahlen eindeutig zurückgehen, weil die Balkanroute geschlossen ist und der Flüchtlingsdeal mit Erdogan (noch) hält, wäre eine Kursänderung ein voreiliger politischer Kniefall vor Seehofer und Co. Ausserdem greifen die unterschiedlichsten Gesetze – von Asylverschärfung bis hin zum Integrationsgesetz – noch gar nicht. Egal wie laut die Zwischenrufe aus Bayern sind, unter dem Strich hält es Merkel für nicht notwendig ihre Flüchtlingspolitik zu überdenken. Zudem sie auch selbst die Verantwortung übernimmt für das eine oder andere Wahldebakel.

Trotzdem: Merkel hat die Deutschen nachhaltig enttäuscht. Als Hunderttausende nach Deutschland drängten, hat sie die Öffnung der Grenze ohne jegliche Kontrolle als die beste und einzig akzeptable Lösung präsentiert. Die CDU-Willkommenseuphorie war größer als alle nachvollziehbaren Sicherheitsbedenken. Das wurde in Deutschland nach und nach als großer Vertrauensbruch empfunden, der sich nicht so schnell wieder kitten lässt, egal wie viele oder wie wenige Flüchtlinge derzeit über die Grenze kommen. Mit der sorglosen Grenzöffnung hat Merkel Fakten geschaffen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Daraus sind nicht nur in Deutschland berechtigte Sorgen und Befürchtungen entwachsen, die auch dann nicht kleiner werden, wenn sich die Kanzlerin morgen ernsthaft mit Obergrenzen oder mit dem Burkaverbot beschäftigt.

Die Silvesternacht von Köln hat sich mitsamt den Terroranschlägen von Ansbach, Würzburg und München vor allem in das deutsche Gedächtnis eingebrannt. Rückblickend wird die unkontrollierte Grenzöffnung zu Recht als hochriskantes Spiel mit der individuellen Sicherheit empfunden. Denn auch Extremisten wurden Tür und Tor geöffnet. Jede politische Initiative, die das Sicherheitsgefühl stärken kann, geht nun auf Kosten der individuellen Freiheit. (Terrorangst: „Die Freiheit zahlt den Preis„)

Auch dafür wird die Merkel-CDU bei den Wahlen abgestraft. Zuletzt in Mecklenburg-Vorpommern, bald auch in Berlin. Die kurzsichtige Willkommenskultur entpuppt sich ein Jahr später als politischer Bumerang. Dabei hat die deutsche Kanzlerin alles Merkelmögliche getan, um die Flüchtlingskrise irgendwie in den Griff zu bekommen, ohne eine maßgebliche Kurskorrektur ihrer Flüchtlingspolitik ins Auge fassen zu müssen. Nur von der Illusion einer gesamteuropäischen Lösung wird sie sich ernsthaft verabschieden müssen. Ansonsten deutet vieles auf einen Problemlösungsversuch a là Helmut Kohl hin: Einfach aussitzen. Das zerrüttete Vertrauen wird sich so und so nur langsam zurückgewinnen lassen.

Doch wer genau hinhört, der bemerkt, dass Merkel der Flüchtlingsthematik mit einer neuen Schwerpunktsetzung begegnet:

  • Wir müssen die innere Sicherheit weiter erhöhen, unter anderem mit zusätzlichen Polizisten.
  • Wer keinen Anspruch auf Schutz hat, soll künftig wieder zurückgeführt, also schneller abgeschoben werden.
  • Im selben Atmezug kommt die Kanzlerin sogar zu dem Schluss, dass sich ein Flüchtlingszuzug wie im letzten Jahr nicht mehr wiederholen soll. 

Nähert sie sich der Flüchtlingskrise vom falschen Ende an? Es sind kleine Nuancen, die lediglich bei genauem Hinhören ein wenig bedeutender wirken als sie tatsächlich sind, kleinste Zugeständnisse im Scheinwerferlicht des letzten Wahldebakels. Nicht mehr aber auch nicht weniger.

Merkel wird sich die Flüchtlingspolitik nicht selbst in die politische Arena holen. Mit diesem Thema kann sie kaum noch punkten, auch nicht im Falle einer Kurskorrektur. Die Opposition hat die Thematik gut und populistisch besetzt, gleichzeitig maximal davon profitiert. Merkel bleibt das Krsienmanagement, um aus der Vertrauenskrise irgendwie herauszufinden. Letztendlich geht es aber um die Frage, ob man ihr Deutschland noch einmal anvertrauen möchten, ob sie als Kanzlerin in eine vierte Amtszeit durchstarten soll. Die Antwort ist für ganz Europa und für zukünftige Flüchtlingsströme richtungsweisend.

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