Literaturnobelpreisträger Günter Grass veröffentlicht ein Gedicht. Es heißt: „Was gesagt werden muss.“ Darin geht es um die Atommacht Israel. Deutschland soll keine U-Boote mehr für Israel bauen. Israel ist empört, Grass fühlt sich missverstanden. Was wirklich gesagt werden muss:
Alles spricht dafür, sich die Finger nicht nur zu verbrennen, sondern sich die Finger zu verkohlen. Denn es geht um Israel, um sein Atomprogramm, das nicht nur auf friedliche Zwecke ausgerichtet ist, und es geht um Günter Grass (84): Literaturnobelpreisträger und ehemals Mitglied der Waffen SS – vielleicht hat er auch deshalb so lange geschwiegen.
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„Warum schweige ich, verschweige zu lange, was offensichtlich ist und in Planspielen geübt wurde, an deren Ende als Überlebende wir allenfalls Fußnoten sind.
Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag, der das von einem Maulhelden unterjochte und zum organisierten Jubel gelenkte iranische Volk auslöschen könnte, weil in dessen Machtbereich der Bau einer Atombombe vermutet wird.
Doch warum untersage ich mir, jenes andere Land beim Namen zu nennen, in dem seit Jahren – wenn auch geheim gehalten – ein wachsend nukleares Potenzial verfügbar aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung zugänglich ist?
Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes, dem sich mein Schweigen untergeordnet hat, empfinde ich als belastende Lüge und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt, sobald er missachtet wird; das Verdikt «Antisemitismus» ist geläufig.
Jetzt aber, weil aus meinem Land, das von ureigenen Verbrechen, die ohne Vergleich sind, Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird, wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert, ein weiteres U-Boot nach Israel geliefert werden soll, dessen Spezialität darin besteht, alles vernichtende Sprengköpfe dorthin lenken zu können, wo die Existenz einer einzigen Atombombe unbewiesen ist, doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will, sage ich, was gesagt werden muss.
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Die Reaktionen sind heftig. Das Büro von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu erklärt: „Die schändliche Gleichstellung Israels mit dem Iran, einem Regime, das den Holocaust leugnet und damit droht, Israel zu vernichten, sagt wenig über Israel, aber viel über Herrn Grass aus. Es ist der Iran, nicht Israel, der eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit in der Welt darstellt, anderen Staaten mit der Auslöschung droht und der Terror-Organisationen unterstützt, die Raketen auf Zivilisten abschießen. „Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland erklärt online in einem Gastkommentar für das „Handelsblatt: „Grass‘ Gedicht ist ein Pamphlet von Hass und Hetze.“ Das Etikett Lyrik werde hier missbraucht, um eine üble Gesinnung zu transportieren. „Wer antisemitisch agitiert, wer judenfeindlich argumentiert, wer antisemitische Klischees zuhauf verwendet – was wäre der denn anderes als ein Antisemit?“
Es war ein Monat nach seinem 17. Geburtstag, im November 1944, als Günter Grass zur 10. SS-Panzer-Division „Frundsberg“ der Waffen-SS einberufen wurde. Fünf Monate später wird Günter Grass verwundet, sechs Monate später bei Marienbad in Tschechien gefangen genommen.
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„Warum aber schwieg ich bislang? Weil ich meinte, meine Herkunft, die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist, verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit dem Land Israel, dem ich verbunden bin und bleiben will, zuzumuten.
Warum sage ich jetzt erst, gealtert und mit letzter Tinte: Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden? Weil gesagt werden muss, was schon morgen zu spät sein könnte; auch weil wir – als Deutsche belastet genug – Zulieferer eines Verbrechens werden könnten, das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld durch keine der üblichen Ausreden zu tilgen wäre.“
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„Und zugegeben: ich schweige nicht mehr, weil ich der Heuchelei des Westens überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen, es mögen sich viele vom Schweigen befreien, den Verursacher der erkennbaren Gefahr zum Verzicht auf Gewalt auffordern und gleichfalls darauf bestehen, dass eine unbehinderte und permanente Kontrolle des israelischen atomaren Potenzials und der iranischen Atomanlagen durch eine internationale Instanz von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.
Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern, mehr noch, allen Menschen, die in dieser vom Wahn okkupierten Region dicht bei dicht verfeindet leben und letztlich auch uns zu helfen.“
Günter Grass: „Was gesagt werden muss“