Nokia war ein finnisches Nationalheiligtum. Aus dem Mischkonzern wurde der größte Mobiltelefonhersteller der Welt. Letztendlich scheitert Nokia aber an Nokia.
Kränkelt Nokia, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die finnische Wirtschaft einbricht. Die Bedeutung Nokias für Finnland ist ein Thema, das bis zum heutigen Tag unzählige dicke Bücher füllt. Der größte Mobiltelefonhersteller der Welt erzielte in seiner Blütezeit einen weltweiten Jahresumsatz von über 40 Milliarden Euro und hat so den Umsatz der finnischen Elektroindustrie in einem Jahrzehnt mehr als vervierfacht. Alleine im Jahr 2000 verbuchte Nokia einen Bruttogewinn von fast 6 Milliarden Euro und zahlte in den besten Jahren fast ein Viertel der Unternehmenssteuern des gesamten Landes; ein Drittel aller Ausgaben für Forschung und Entwicklung (im Jahr 2008) kamen ebenfalls vom Technologiegiganten Nokia.
Gegründet wurde das Unternehmen 1865 in Tampere, im Südwesten Finnlands. Die anfangs hergestellten Papiererzeugnisse wurden primär nach Russland und Großbritannien exportiert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen noch verschiedenste Gebrauchsgegenstände, wie Gummistiefel und Radmäntel für Rollstühle hinzu. Der Nokia-Schriftzug war in Finnland überall zu sehen: Auf Handtuchhaltern und Fernsehern, auf Reifen und auf Kabeln.
Aus dem Mischkonzern wurde 1967 ein Technologieunternehmen. Den Grundstein für die Umstrukturierung legte der Zusammenschluss mit ‘Finnish Cable Works‘. „Mobira Cityman 900“ – das erste Nokia-Mobiltelefon, bei dem alle Komponenten in einem Gehäuse untergebracht waren, wurde 1987 präsentiert. Das „Modell 1011“, war Nokias erstes GSM-Handy, das 1992 in Massenfertigung hergestellt wurde. Einfach in der Handhabung und für jeden erschwinglich – war die Grundlage für den Nokia-Erfolg. Günstige Handys sicherten dem Konzern von 1998 bis 2011 den Titel als weltgrößter Mobiltelefonhersteller.
Die Kehrseite der beeindruckenden Bilanzen: In Krisenzeiten hat Nokia auf die Wirtschaftsleistung eines ganzen Landes gedrückt. Dem schnellen Aufstieg des Handy-Pioniers folgte ein fast noch schnellerer Fall.
Als Apple das erste iPhone auf den Markt brachte, klammerte sich Nokia zu sehr an das selbst entwickelte Betriebssystem Symbian, verlor den Anschluss und spielte am lukrativen Smartphone-Markt sehr schnell keine ernst zu nehmende Rolle mehr. 2004 verschliefen die Nokianer den Trend zum Klapphandy, wenig später auch die Entwicklung zum Touchscreen.
Das Management wollte kaum noch ein Risiko eingehen. Die meisten Innovationen wurden vorzeitig abgewürgt. Die genialen Vordenker mussten schweigen, vorrangiges Ziel war es, die Produktionskette bis zum letzten Cent auszuquetschen. In dieser Betriebsphilosophie war Nokia gefangen. Die ängstliche Denkweise und viel zu starre Strukturen haben den Giganten ins Wanken gebracht. Nokias Handy-Beamte waren Angestellte auf Lebenszeit, die nie wirklich um ihren Job bangen mussten, egal welche Fehler sie sich geleistet haben. Leistungsorientiertes Denken und Handeln haben die großen amerikanischen Technologiekonzerne vorgelebt.
Experten kommen heute zum Schluss: Europa kann kein High-Tech. Die Zeiten als das finnische Managementmodell weltweit bewundert und sogar an Business Schools der amerikanischen Ostküste gelehrt wurde, sind endgültig vorbei.
Als Stephen Elop, ein ehemaliger Microsoft-Manager auftauchte und im Chefsessel der Nokia-Zentrale Platz nahm, war das Schicksal von Nokia bereits besiegelt. Der Kanadier – er leitete die Business-Sparte von Microsoft von 2008 bis 2010 – war der Spion, der Nokia für eine Übernahme durch Microsoft vorbereitet: Bereits 2011 stellte Nokia Smartphones mit Microsofts Betriebssystem Windows Phone her.
Vor knapp einem Jahr, im November 2013, wurde in einer außerordentlichen Hauptversammlung in Helsinki der Verkauf beschlossen. Microsoft erwarb das Kerngeschäft des Nokia-Konzerns um insgesamt 5,4 Milliarden Euro: 3,79 Milliarden Euro bezahlte Microsoft für Nokias Gerätesparte, weitere 1,65 Milliarden Euro für Patentlizenzen auf zehn Jahre.
Wehmütige Fragen geistern seither durch die finnischen Zeitungen: Gab es keine andere, vielleicht sogar bessere Lösung? Wird der Nokia-Konzern wieder in Finnland investieren? Irgendwo tauchte sogar die fundamentale Frage auf: Was wird nun aus Finnland? Nokia bestimmte die Wirtschaft Finnlands, wie es nie ein Unternehmen anderswo in der Welt je getan hat. Zur Jahrtausendwende trug Nokia vier Prozent zum Bruttoinlandsprodukt Finnlands bei, heute sind es immer noch 1,6 Prozent.
Wie viele Arbeitsplätze wird Microsoft erhalten? Nokia beschäftigte in seinen Glanzzeiten 25.000 Mitarbeiter in Finnland. (Unter den 5,3 Millionen Finnen gibt es rund 2,4 Millionen Erwerbstätige). Seit Juli kennen wir die Antwort: Microsoft mit insgesamt 127.000 Angestellten wird weltweit 18.000 Arbeitsplätze abbauen. Der Großteil der Streichungen trifft mit 12.500 Stellen die Beschäftigten des zugekauften finnischen Handyherstellers Nokia. Jeder zweite Mitarbeiter – egal ob Fabrikarbeiter, Vordenker oder Manager – wird den Konzern verlassen müssen. Ziel ist es, die Anzahl der Managementebenen zu verkleinern, um künftig leichter, vor allem aber schneller wichtige Entscheidungen treffen zu können. Verantwortungsbereiche sollen eindeutig verteilt werden, Doppelungen, die die Nokia-Übernahme mit sich gebracht hat, werden abgebaut. Microsoft hat die Gesamtkosten für den Stellenabbau, verteilt auf die nächsten Quartale, mit 1,1 bis 1,6 Milliarden Dollar beziffert (vor Steuern).
Nokia soll in „Microsoft Mobile Oy“ umgetauft werden. (Oy“ ist das finnische Kürzel für eine private Aktiengesellschaft). Im Netz kursieren Gerüchte, dass eine Umbenennung auf „Microsoft Mobile“ so gut wie gesichert ist. Die Smartphones Lumia 830, 735 und 730, die auf der IFA in Berlin, auf der weltweit führende Messe für Consumer Electronics und Home Appliances, vorgestellt wurden, sind voraussichtlich die letzten Produkte, die den Namen Nokia tragen. Der Name ‚Nokia‘ wird durch die Bezeichnung „Microsoft Lumina“ ersetzt werden.
Den Schriftzug Nokia wird es künftig nicht mehr geben: Der Goliath ist gefallen.