07 Dec 2003, Beijing, China --- --FILE--Bo Xilai, then Governor of Liaoning province and son of former Chinese Vice Premier Bo Yibo, delivers a speech at the China Entrepreneur Summit 2003 in Beijing, China, 7 December 2003. Cut-throat Chinese politics, and not a broader ideological battle, probably led to the banishment of Bo Xilai from the top ranks of Chinas Communist Party this week, former U.S. Ambassador to China Jon Huntsman said on Thursday (12 April 2012). The decision to cast out Bo Xilai from the partys central committee follows his removal in March as party chief of Chongqing, a sprawling municipality in southwest China. The brash and controversial politician has been at the center of an unfolding scandal that led this week to his wife, Gu Kailai, being detained on suspicion of murdering British businessman Neil Heywood. Before his fall, Bo was widely seen as a contender for a post in Chinas top leadership committee, which will be decided later this year. --- Image by © Imaginechina/Corbis

China: Steckt hinter dem Machtkampf ein Putschversuch?

Chinas Politbüromitglied Bo Xilai wird entmachtet, seine Frau verhaftet. Wurde der Brite Neil Heywood ermordet? Er hatte Kontakte zum Geheimdienst MI-6. Oder war alles „nur“ ein missglückter Putschversuch? Peking schweigt und verschärft die Internet-Zensur. 

Chongqing liegt im Herzen der Volksrepublik China und ist die größte Stadt der Welt. Gemessen an den administrativen Stadtgrenzen: Denn das Verwaltungsgebiet Chongqing ist mit 82.403 Quadratkilometern fast genauso groß wie Österreich. Zu den bekanntesten Einwohnern der 30-Millionen-Metropole zählt ein gewisser Herr Wang Lijun. Vizebürgermeister und Polizeichef des Bezirks Jinzhou. Er war bis vor wenigen Monaten eine Schlüsselfigur in zahlreichen Korruptionsprozessen, bis er plötzlich auf einen weniger prestigeträchtigen Posten versetzt wurde. Wang Lijun hatte zu diesem Zeitpunkt seine Ermittlungen auch auf die Familie des Politbüromitglieds Bo Xilai ausgeweitet. Beide waren langjährige Weggefährten. Von offizieller Stelle war zu hören: „Herr Wang ist übermüdet und dem mentalen Stress einfach nicht mehr gewachsen. Er ist in einem ´urlaubsähnlichen´ Zustand.“

Doch die chinesische Presse hatte andere Informationen. Sie war sich sicher,  Wang Lijun ist in das amerikanische Konsulat geflüchtet, das am 7. Februar völlig überraschend von Polizeikräften umstellt wurde. Nach 24 Stunden wurde der Polizeieinsatz abgebrochen. Wang, der am Konsulat um politisches Asyl ansuchte, wurde abgewiesen. Die Amerikaner hatten zu große Angst, zu tief in innerchinesische Angelegenheiten verstrickt zu werden. Beim Verlassen des Konsulats wurde Wang verhaftet und nach Peking gebracht. Seither gibt es nur sehr vage Informationen über ihn. Sicher ist, dass Wang Lijun zu den bekanntesten Korruptionsermittlern in China zählte und im selben Stadtteil Polizeichef war, wo auch der Politstar Bo Xilai arbeitete.

Bo Xilai war der große Hoffnungsträger des linken Flügels der Partei.  Mitglied des 25-köpfigen Politbüros des Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen (KP) Partei Chinas. Bis vor zwei Tagen. Er orientierte sich sehr stark an den Praktiken der Kulturrevolution. Auch im Kampf gegen die Korruption in Chongqing: Dabei wollte er die Gewaltenteilung langsam aushebeln und die direkte Einflussnahme der Exekutive auf die Gerichte in den Vordergrund stellen. Doch zur Umsetzung seiner Vorstellungen wird es unter seiner Federführung nicht mehr kommen. Auch seine Hoffnungen irgendwann Mitglied des ständigen Ausschusses des Politbüros zu werden und somit im eigentlichen Machtzentrum Chinas anzukommen, haben sich zerschlagen. Vor zwei Tagen meldete die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua: „Genosse Bo wird wegen schwerwiegender Verletzungen der Disziplin ausgeschlossen und von seinen Parteiämtern entbunden. Die Disziplinarkommission der KP Chinas wird seinen Fall untersuchen.“

In China entfaltet sich ein beispielloser Politthriller. Dabei geht es nicht nur um die Entmachtung von Bo Xilai, es geht auch um Mord. Unter Mordverdacht stehen Bo Xilais Ehefrau, Gu Kailai, und ein Hausangestellter. Beide wurden verhaftet und den Justizbehörden übergeben. Und beide werden mit dem Tod des Britischen Unternehmensberater Neil Heywood (41) in Verbindung gebracht. In allen Fällen gilt die Unschuldsvermutung, muss die Unschuldsvermutung gelten, weil es sehr schwer ist, verlässliche Informationen zu bekommen, die auch noch von höchster Stelle in Peking bestätigt werden. Sicher ist, dass Neil Heywood enge Kontakte zum abgesetzten Politbüromitglied Bo Xilai hatte. So verschaffte er dem Sohn des Ex-Politikers einen Studienplatz in Oxford. Und wenn wir dem Bericht der Untersuchungsbehörden glauben wollen, dann war der Tod des Briten Neil Heywood auf „exzessiven Alkoholkonsum“ zurückzuführen. Doch seine engsten Freunde haben Zweifel: Neil Heywood habe nie einen Tropfen Alkohol angerührt. Seine Leiche wurde sofort nach der Untersuchung verbrannt.

Dass das britische Außenministerium am letzten Sonntag darauf gedrängt hat, die Untersuchungen wieder neu aufzunehmen, klingt zunächst einmal logisch und verständlich zugleich. Schließlich war Neil Heywood britischer Staatsbürger. Aber Mr. Heywood arbeitete gelegentlich auch für die britische Beratungsfirma Hakluyt & Company, die vor knapp 15 Jahren von ehemaligen MI-6 Geheimdienstmitarbeitern gegründet wurde.

Ob es nun einen Zusammenhang zwischen dem Tod von Neil Heywood und der Absetzung des Spitzenpolitikers Bo Xilai gibt, darüber kann man nur spekulieren. Und inwieweit ist der britische Geheimdienst MI-6 involviert? Wurde Heywood vergiftet, weil er einfach zu viel wusste?  Über die wahren Absichten von Bo Xilai.

Vielleicht hatte Bo Xilai mehr im Sinn als „nur“ Mitglied des ständigen Ausschusses des Politbüros zu werden. Zeitungen in Hongkongberichten, dass Bo mit dem mächtigen ständigen Mitglied des Politbüros Zhou Yonkang unter einer Decke steckte, der die Polizei und den internen Sicherheitsapparat Chinas kontrolliert. Bestätigt wurde die Meldung eines Putsches zwar nicht. Twittermeldungen berichten von einem Großaufgebot an Polizisten in der Hauptstadt Peking in der Nacht vom 19. auf den 20. März. Vereinzelt sollen auch Panzer aufgefahren sein.

Chinas Führung schweigt und wirkt extrem nervös. Unzählige Webseiten, darunter auch Blogs von Regimekritikern, wurden vorübergehend gesperrt. Die Führung in Peking kontrolliert den größten Kurznachrichtendienst des Landes mit 300 Millionen Mitgliedern: Weibo ist in seiner Funktion stark eingeschränkt. Es sind derzeit keine Online-Diskussionen möglich.

Niel Heywood (1970-2011)

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