Der Killer von Aurora steht vor Gericht. Er schweigt. Präsident Obama spricht zu den Angehörigen der Opfer. Zum Thema Waffengesetze schweigen beide Präsidentschaftskandidaten. Die US-Waffenlobby diktiert die Politik. 12 Menschen sind tot.
„Es ist klar, dass der Waffenbesitz eine lange Tradition in diesem Land hat, dass Schießen und Jagen zum Erbe der Nation gehören“, erklärt der amtierende US-Präsident Barack Obama in einer viel beachteten Rede nach dem Massaker von Aurora im Bundesstaat Colorado. Doch mit der stärksten Lobby der Welt, mit der amerikanischen Waffenlobby, legt sich der Präsident nicht an. Nur Kriminelle und Geisteskranke sollen sich künftig nicht mehr so leicht Waffen kaufen können. Nicht so leicht wie jeder andere amerikanische Staatsbürger. „Deswegen ist“, wenn es nach Obama geht, „eine sinnvolle Regelung eine parteiübergreifende Aufgabe.“
Das Recht zur Selbstverteidigung und die Diskussion darüber sind fast so alt wie die Verfassung, in der es verankert ist. Doch die Debatte, die nur zu aktuellen Anlässen immer wieder aufflammt, gleicht einer Ladehemmung einer Wasserspritzpistole: Sie ist harmlos, kaum erwähnenswert. Denn die Waffenlobby hat die amerikanische Politik fest im Griff. Die Summen, die im Hintergrund direkt oder indirekt gehandelt werden, sind unvorstellbar hoch und um ein Vielfaches höher als offiziell veranschlagt. 12 Tote und 56 Verletzte sind, so gesehen, ein kleines Bauernopfer, die nicht ins Gewicht fallen (dürfen). Wahrscheinlich gehen sie sogar auf das Konto eines Geisteskranken, der dem Richter und der Anklage stumm und teilnahmslos lauscht.
James Holmes wirkt geistesabwesend und müde. Er war bei einer Psychiaterin in Behandlung, die auf Patienten mit Schizophrenie spezialisiert ist. Ihr wurde auch der Notizblock mit den Plänen für den Amoklauf übergeben. Vieles deutet also darauf hin, dass es sich beim Aurora-Killer um einen Geisteskranken handelt. Kein Grund sich in irgendeiner Form mit den amerikanischen Waffengesetzen auseinanderzusetzen. Das Recht zur Selbstverteidigung bleibt und es bleibt im Verfassungsrang. Selbst wenn es auch die Möglichkeit schafft, sich Waffensysteme zuzulegen, die nicht nur zur Selbstverteidigung entwickelt wurden.
Der Kino-Killer von Aurora, James Holmes, 24, hat seine Waffen legal in zwei Waffengeschäften erstanden. Bei seinem Amok-Lauf hatte er mit einem Sturmgewehr, einer Schrotflinte und zwei Glock-Pistolen wild um sich geschossen. Die Waffenlizenz kostete ihn rund 150 US-Dollar, den Antrag dafür gibt es online. Auch seine 6000 Schuss Munition hat er über das Internet bestellt. Was wirklich an Selbstverteidigung erinnerte, war einzig und allein seine Ausrüstung: Helm, Gasmaske und kugelsichere Weste. Schließlich zündete er auch eine Rauch- und Gasgranate, bevor er ganz gezielt auf die einzelnen Kinobesucher schoss. Nur eine Ladehemmung verhinderte ein noch größeres Blutbad.
Vergessen wir nicht, dass in den USA im kommenden November ein neuer Präsident gewählt wird. Wer sich als Waffengegner outet, verliert Stimmen, die Unterstützung der Waffenlobby und somit den Kampf um das Weiße Haus. Alle Fragen, die jetzt auftauchen, klingen scheinheilig und werden in weiterer Folge auch nie ernsthaft behandelt: Wie konnte das geschehen bzw. was muss noch alles geschehen, bevor sich etwas ändert? Was als Antwort gelten und somit durchgehen muss, sind eine bewegende Totenwache, die Anteilnahme des Präsidenten, seine Rede vor den Verwandten der Opfer und die Reden über irgendwelche zahnlosen Gesetzesnovellen, die nichts verändern und letztendlich nichts verhindern.
Nach Attentaten und nach Amokläufen werden in Washington Phantom-Debatten geführt, die immer nach demselben Muster ablaufen: Ein erstes Zeichen großer und tiefer Betroffenheit sind die unzähligen Gedanken und Ideen, die künftig solche Tragödien verhindern sollen. Der Beifall dafür kommt verhalten, aber aus allen politischen Lagern. Sobald aber alles in eine konkrete Form gegossen werden soll, sind erste ernste Bedenken zu hören. Auch wiederum aus allen politischen Lagern. Die Betroffenheit über das Massaker nimmt schließlich ab, die Debatte über Gesetzesnovellen verliert an Schwung. Der politische Alltag lässt schon bald den Status quo als die schlechterste und doch beste Lösung im Sinne der amerikanischen Verfassung erscheinen. Bis zum nächsten Amoklauf. Wenn der Präsident dann wieder verkündet:
„Ich bin mit den Familien der Opfer zusammengetroffen, durfte einige umarmen und habe geweint.“
Nur noch größer als die beispiellose Betroffenheit ist das Schweigen zu den amerikanischen Waffengesetzen. Es ist genau das Schweigen, das keiner mehr hören kann, wenn wir einmal von der amerikanischen Waffenlobby absehen.
Massaker, Amokläufe und Attentate der letzten 5 Jahre in den USA:
2012 – Aurora: 12 Tote, 56 Verletzte
2011 – Tuscon: 6 Tote, 13 Verletzte
2009 – Fort Hodd: 13 Tote, 29 Verletzte
2007 – Virginia Tech: 32 Tote 29 Verletzte
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