Einer britischen Studentin wird die Kehle durchgeschnitten. Die Angeklagten A. Knox und R. Sollecito werden freigesprochen. Italiens höchstes Berufungsgericht hat die Freisprüche jetzt aufgehoben.
Es gab zu wenig eindeutige Beweise. Das war in erster Linie auf die schlampige Spurensicherung zurückzuführen. Deswegen, vielleicht nur deswegen, wurden die Amerikanerin Amanda Knox und ihr italienischer Ex-Freund Raffaele Sollecito von einem Gericht in Perugia im Oktober 2011 freigesprochen. In erster Instanz waren sie zu 26 und 25 Jahren Haft verurteilt worden. Der Berufungsprozess war dann ein gigantisches Medienspektakel rund um den Mord an Meredith Susanna Cara Kercher. Zurück blieben nach den Freisprüchen berechtigte Zweifel und ein widerrufenes Geständnis, der US-Amerikanerin Armanda Knox, das angeblich von der italienischen Polizei erzwungen wurde. Die Familie des Opfers und die Staatsanwaltschaft legten Revision ein. So war nun der Oberste Kassationsgerichtshof in Rom am Zug.
Italiens höchstes Berufungsgericht hat vor wenigen Tagen entschieden, dass der brutale Mord an der britischen Studentin Meredith Susanna Cara Kercher neu verhandelt werden muss. Kercher wurde in einem durch Drogen und Alkohol motiviertem Sexspiel kaltblütig die Kehle durchgeschnitten. Die Freisprüche von Perugia aus dem Jahr 2011 wurden somit aufgehoben: Armanda Knox und ihr Ex-Freund Raffaele Sollecito müssen sich erneut vor einem Berufungsgericht verantworten.
Armanda Knox ist sofort nach ihrem Freispruch in ihre Heimatstadt Seattle (USA) zurückgekehrt und ist in keinster Weise verpflichtet, vor dem italienischen Gericht zu erscheinen. Ob sie im Falle eines Schuldspruches von den US-Behörden nach Italien ausgeliefert wird, ist ernsthaft zu bezweifeln. Schließlich war es US-Außenministerin Hillary Clinton persönlich, die sich 2011 für Armanda Knox einsetzte.
Knox Ex-Freund, der Italiener Raffaele Sollecito, feierte gerade seinen 29. Geburtstag, als Italiens höchstes Berufungsgericht seinen Freispruch aufhob. Er plant in absehbarer Zeit in die Via Aldesage Nummer 135, nach Lugano in der Schweiz zu übersiedeln. Laut Handelsregister ist dort die Firma „Experience Teller Media & Web Management SA“ eingetragen, die Sollecito Anfang März übernommen hatte. Sein neues Unternehmen soll ihm helfen, die Vermarktung seines Buches voranzutreiben: „Honor Bound My Journey to Hell and Back with Amanda Knox.“
Als Angeklagter ist er nicht verpflichtet, während des Prozesses in Italien zu bleiben. Sollte er jedoch verurteilt werden, so ist er in Lugano nicht sicher. Denn die Schweiz ist, aufgrund des Europäischen Auslieferungsübereinkommens zur Auslieferung an Italien verpflichtet. Gut möglich, dass sich Herr Sollecito doch nicht für ein Leben in der Schweiz entscheidet und sich schon bald in den USA niederlässt. Denn sollten sowohl Armanda Knox als auch Raffaele Sollecito doch schuldig sein – es gilt nun erneut die Unschuldsvermutung – dann dürfte es den US-Behörden schwerfallen zu begründen, warum sie den einen Verurteilten ausliefern, den anderen hingegen nicht. Egal, ob Sollecito eine amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt oder nicht. Sein Buch – so viel steht fest – wird es in den nächsten Wochen und Monaten sehr schnell in die Bestsellerlisten schaffen. Dafür wird kein großartiges Vermarktungskonzept notwendig sein.
In „Honor Bound: My journey to Hell and Back with Amanda Knox“ blickt Sollecito auf die Spurensicherung und die Arbeit der italienischen Polizei zurück, die in seinen Augen „bösartig“ agierte.
„He believes the police never seriously believed in his guilt, but pursued him aggressively in order to pressure… As part of a litany of either hapless or actively malicious police work, Sollecito says that when the police searched his apartment after his arrest, an officer called Finzi reached into the cutlery drawer in the kitchen, „pulled out the first knife that came to hand, a large chopping knife with an eight-inch blade“, and turning to a fellow officer, said, „Will this knife do?“, to which the answer came, „Yes, yes, it’s great.“
Auf dem angeblichen Mordmesser fanden sich DNA-Spuren von Amanda Knox, auf dem Büstenhalter der Getöteten genetische Fingerabdrücke von Sollecito. Ein Gutachten zweier Wissenschaftler der Universität Sapienza hat allerdings dargelegt, dass man “mehrere genetische Profile” erkennen kann. Es war also klar: Die Spurensicherung hatte schlampig gearbeitet.
Verurteilt wurde bis zum heutigen Tag nur der 25-jährige Rudy Guede, der als Adoptivsohn eines italienischen Paares seit seinem sechsten Lebensjahr in der mittelitalienischen Stadt Perugia gelebt hatte. Von ihm stammen auch die einzigen gesicherten Spuren am Tatort: Er benutzte die Toilette, ohne hinunterzuspülen und sein Sperma wurde im Leichnam der ermordeten britischen Studentin festgestellt. Der Kleindealer und Taschendieb von der Elfenbeinküste setzte sich nach dem grausamen Mord nach Deutschland ab und hatte via Facebook einem englischen Journalisten über den Kercher-Mord berichtet. Ein Jahr später wurde er zu einer Haftstrafe von 30 Jahren verurteilt, die im Berufungsverfahren von Perugia auf 16 Jahre verkürzt wurde. Rudy Guede hat immer und immer wieder beteuert, den Mord nicht begangen zu haben: „Ich war im Bad eingeschlossen und hatte Kopfhörer mit lauter Musik auf, als Meredith ermordet wurde“, erklärte er mehrmals.
Der Todeskampf von Meredith Kercher muss zumindest zehn qualvolle Minuten gedauert haben. Mehrfach setzte der Mörder die Klinge an, bevor er mit einem tödlichen Schnitt die Kehle seines Opfers durchtrennte. Die Leiche blieb halb nackt am Tatort zurück, übersät mit Messerstichen. Ihr Körper wies insgesamt 47 Wunden auf, die eindeutig von zwei verschiedenen Messern zugefügt wurden.
Das Apartment, in dem Meredith Kercher ermordet wurde: (A) ihr Zimmer, (B) ihr Bad, (C) das Zimmer von Amanda Knox. Die roten Punkte sind die Markierungen der Spurensicherung. Die Tote lag in der Mitte ihres Zimmers. (D) der kleine Zwischenflur, (E) Balkon/Terrasse, (F) Wohnzimmer mit integrierter Küche, (G) Eingang der Wohnung. In Kerchers Zimmer (A) sind grafisch hellgrau angedeutet: unten links ihr Bett, oben links der Schrank, am Fenster oben rechts ihr Schreibtisch mit Schreibtischstuhl. Es fanden sich auch im Bad (B) einige hier nicht abgebildete Markierungstafeln der Spurensicherung.
Amanda Knox und Merdith Kercher teilten sich diese Studentenwohnung in der Via Pergola Nummer 7 in Perugia (Italien).
„Rudy Guede weiß sicher, was passiert ist, aber er hat es nie gesagt. Vielleicht wissen es auch die beiden Freigesprochenen, nur wir haben davon nichts erfahren“, erklärte Richter Claudio Pratillo Hellmann, der im Oktober 2011 den Freispruch für Amanda Knox und ihren Ex-Freund Raffaele Sollecito verkündete, in einem Interview wenige Tage später gegenüber der italienischen Tageszeitung La Stampa. Er fügte aber auch noch hinzu: „Unser Freispruch ist das Ergebnis der Wahrheit, die wir im Prozess festgestellt haben. Die tatsächliche Wahrheit könnte eine ganz andere sein.“
Post Scriptum:
Obwohl der Mordfall im August 2014 in Florenz neu verhandelt werden soll, wird Amanda Knox, ihre Autobiografie – wie geplant – am 30. April 2013 veröffentlichen. „Waiting to be heard“ wird im Harper Collins Verlag erscheinen. Für denselben Tag plant ABC (American Broadcasting Company) ein Live-Interview mit Amanda Knox. Die Fragen stellt Diane Sawyer.